Ein paar Gedanken zum Fest der Liebe
Nathan der Weise von Gotthold Ephraim Lessing war lange Zeit – zumindest in der Oberstufe – Lehrplanstoff im Fach Deutsch. Aber selbst, wenn man das Stück, das zugegebenermaßen keine ganz leichte Kost ist, nicht in der Schule kennengelernt hat, ist man mit der berühmten Ringparabel daraus vielleicht dennoch schon einmal in Berührung gekommen? Sie ist jedenfalls ein starkes Lehrstück für die Gleichwertigkeit von Religionen, hier besonders Judentum, Christentum und Islam, die ja schlussendlich alle drei sogenannte monotheistische abrahamitische Religionen sind, also auf einen gemeinsamen Stammvater – Abraham – rekurrieren.
Wir staunen bis heute, wie sich gerade die fanatischen Vertreter dieser drei verwandten Religionen blutigste Glaubenskämpfe lieferten und liefern.
Lessing (1729 bis 1781) gilt als großer deutscher Aufklärer. Die Vertreter der Aufklärung waren davon überzeugt, dass man mit rationalen Mitteln alle den Fortschritt behindernden Strukturen überwinden könne. Vernunft wird damit im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa ein tragender terminus.
Der eingeschriebene Toleranzgedanke, daneben die Idee vom säkularen Staat und die Überzeugung von der Rechtsgleichheit aller Menschen sorgten auch dafür, dass man sich mit dem Thema Glauben und Religion neu befasste. Bei Lessing kam noch ein sehr persönlicher Impuls hinzu. Er war nämlich eng mit Moses Mendelssohn befreundet, dem gleichaltrigen hochbegabten jüdischen Gelehrten, der als Begründer der Haskala, der jüdischen Aufklärung, gilt. Beide haben also im persönlichen Dialog von unterschiedlichen Standpunkten her viel über Glauben, Religion und Theologie gefachsimpelt und sich so gegenseitig inspiriert. Vermutlich haben auch diese Dispute dazu beigetragen, dass besonders Lessing eine so starke Affinität zum Dialog und damit auch zum Theater entwickelte. Im Zwiegespräch nämlich kann man Dinge von verschiedenen Seiten beleuchten. Man kann sich so der Wahrheit annähern. Nathan der Weise – Lessings letztes großes Ideenstück, das als Schlüsseltext der Aufklärung gilt und in dem er seinem Freund Mendelssohn in der Figur des Nathan ein Denkmal setzt, ist ein beredtes Beispiel hierfür. In der Ringparabel im 3. Aufzug kondensiert der Appell zu Toleranz und Nächstenliebe in einem zauberhaften Gleichnis.
Die Geschichte geht so. Von Generation zu Generation wird ein kostbarer Ring jeweils an den Lieblingssohn weitervererbt:
… Der Stein war ein
Opal, der hundert schöne Farben spielte,
Und hatte die geheime Kraft, vor Gott
Und Menschen angenehm zu machen, wer
In dieser Zuversicht ihn trug.
Es passiert, was passieren muss: der Ring kommt auf einen, der Vater dreier ihm gleich lieber Söhne ist. Wer also soll den Ring bekommen? Er lässt zwei Duplikate des Rings machen, gibt jedem Sohn einen und stirbt.
Als die Söhne den Schwindel bemerken, verklagen sie sich gegenseitig. Sie landen vor dem Stuhl eines Richters, der urteilen soll, welches denn nun der echte Ring sei. Der Richter fällt sein berühmtes Urteil:
Oh, so seid ihr alle drei
Betrogene Betrüger! Eure Ringe
Sind alle drei nicht echt. Der echte Ring
Vermutlich ging verloren.
[…] Wohlan!
Es eifre jeder seiner unbestochnen
Von Vorurteilen freien Liebe nach!
Es strebe von euch jeder um die Wette,
Die Kraft des Steins in seinem Ring‘ an Tag
Zu legen! Komme dieser Kraft mit Sanftmut,
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,
Mit innigster Ergebenheit in Gott
Zu Hilf‘! Und wenn sich dann der Steine Kräfte
Bei euern Kindes-Kindeskindern äußern:
So lad ich über tausend tausend Jahre
Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird
Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen
Als ich; und sprechen. Geht! – So sagte der
Bescheidne Richter.
Im Umfeld unserer alljährlichen Suche nach einer Idee für unsere Weihnachtsgrüße 2019 tauchte die Attribuierung „Onkel Nathan“, wie Eduard Rosenthal von seinen Verehrern liebevoll genannt wurde, auf. Eduard Rosenthal beschäftigt uns ja nun schon seit fast drei Jahren im Kontext des Wettbewerbs um den Botho-Graef-Kunstpreis 2018 und der Realisierung des Siegerentwurfs intensiv. Im kommenden Jahr wird das dezentrale Denkmal zu Ehren Rosenthals eingeweiht. Es berührt, wie das Erinnern an eine Persönlichkeit, die so markant und wichtig für Jena und weit darüber hinaus gewesen ist, fast komplett aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht werden konnte, nur weil die Rosenthals eben Juden gewesen sind. Wir leben in einer problematischen Zeit, wo sich populistische und sogar rechtsradikale Gedanken, ja sogar Antisemitismus wieder breit machen.
Bei der nun derart initialisierten Wiederbeschäftigung mit Lessings Stück berührte uns die Aktualität und Nachdrücklichkeit seines poetischen Toleranzappells.
Geht es Ihnen genauso? Wir wünschen jedenfalls besinnliche Feiertage mit vielen literarischen und sonstigen (Wieder-)Entdeckungen! Wir hoffen – ein wenig euphorisiert von Lessing und seiner Ringparabel – dass wir alle mit viel Toleranz und Großzügigkeit in unseren Herzen im Kleinen dafür Sorge tragen mögen, dass die Welt im Großen ein klitzekleinwenig besser werden möge!
Lessing, der tolerante Aufklärer aus vergangener Zeit – ein Lieblingsautor von Goethe und Schiller:
„Welche Religion ich bekenne? Keine von allen,/
Die du mir nennst! Und warum keine? Aus Religion.“