III.III Ansätze der Wiedererinnerung
Das Vergessen-machen Rosenthals durch die Nationalsozialisten wirkte lange nach. Erst nach der ‚Wende‘ empfand man das Verschwinden des Bildnisses als schmerzlich, und es wurden Nachforschungen zu den Rosenthals angestellt. Das 2020 eingeweihte dezentrale Denkmal knüpft an diese Ansätze an und setzt ein dauerhaftes Zeichen der Erinnerung an Eduard Rosenthal.
Die Wiederbelebung der Villa
Im Jahr 1892, bereits kurz nach dem Einzug der Familie Rosenthal, wurde die Villa Rosenthal zu einem der kulturellen Treffpunkte in Jena. Eine gepflegte, bildungsbürgerliche Atmosphäre herrschte im Haus und zahlreiche Gäste gingen aus und ein, wie schriftlichen Zeugnissen entnommen werden kann. Die kulturelle Bildung und Vermittlung sowie der Austausch zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur waren dem Ehepaar ein besonderes Anliegen. 1924 vererbten Eduard und seine Frau Clara Rosenthal ihr Haus und das dazugehörige Anwesen der Stadt Jena als Ausdruck ihrer Verbundenheit "für eine künftige Nutzung dem ideellen Zwecke nach".
Nach einer behutsamen Sanierung der jenawohnen GmbH erinnert der Ort heute wieder an das politische, gesellschaftliche und kulturelle Engagement der Familie, welche das Leben um 1900 nicht nur in Jena, sondern weit über Thüringen hinaus nachhaltig geprägt und mitgestaltet hat.
Das Erbe der Rosenthals ist folglich ein Geschenk mit Verpflichtung, insbesondere hinsichtlich der Werte, die Eduard Rosenthal gelebt und vermittelt hat, ein Erbe mit maßgeblichen Impulsen für die Stärkung demokratischer, am Gemeinwohl orientierter Ideale. Seit 2009 versucht JenaKultur, diese Offenheit in die heutige Zeit zu übertragen, mit Hilfe kostenfreier Angebote, mit Hilfe verschiedener Kooperationen und nicht zuletzt mit Hilfe von zahlreichen Gesprächen, die weit im Vorfeld der Wiedereröffnung mit den politischen Gremien sowie den kulturellen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Akteuren stattgefunden haben. Auch die künftige Nutzung der Villa Rosenthal Jena wird versuchen, dem Lebenswerk Eduard Rosenthals – dem aufgeklärten Demokraten, Staatsrechtler, geschätzten Menschenfreund, zweifachen Rektor der Jenaer Universität und Urheber der Verfassung des Landes Thüringen – gerecht zu werden und zugleich dieses Erbe für die Bürger*innen der Stadt und auch weit darüber hinaus im Sinne der Familie Rosenthal weiterzuentwickeln – hin zu einem Zentrum für politische Bildung und demokratische Teilhabe.
Die Villa Rosenthal ist aktuell ein Veranstaltungsort, der ein hauseigenes Kulturangebot aus Lesungen, Konzerten, Ausstellungen und vielen anderen Formaten bereit hält. Kontinuierlich wird seit der Eröffnung mit verschiedenen Partnern zusammengearbeitet und nicht zuletzt können die Räumlichkeiten für berufliche sowie private Feiern und Veranstaltungen gemietet werden. Das Anwesen ermöglicht allen Besucher*innen und auch den hier lebenden Stipendiat*innen verschiedene Arten von Begegnungen, anhand derer Gedankenwelten gedeihen und kreative Prozesse ohne Zwang ihren Lauf nehmen können.
Von besonderer Bedeutung ist der Gedenkraum im Obergeschoss, der in Erinnerung an Clara, Eduard und ihren Sohn Curt Arnold Otto Rosenthal eingerichtet worden ist. Ein Besuch der hier eingerichteten Dauerausstellung sowie der Wechselausstellungen ist ganzjährig zu den regulären Öffnungszeiten des Hauses und nach Vereinbarung für alle Interessierte kostenfrei möglich.
10 Jahre Villa Rosenthal Jena
Im November 2019 konnte auf 10 Jahre Wiederbelebung Villa Rosenthal zurückgeblickt werden. Aufgrund dieses feierlichen Anlasses erschien die Publikation Villa Rosenthal. Geschichte und Vermächtnis einer jüdischen Familie im Vopelius Verlag Jena, herausgegeben von jenawohnen (Stadtwerke Jena Gruppe).
Das Buch widmet sich der wechselvollen Geschichte des Hauses sowie seiner Bewohner*innen und lädt dazu ein, sich näher mit dem Leben der Familie Rosenthal und dem Werk des "Vaters" der Thüringer Verfassung, Eduard Rosenthal, zu beschäftigen; mit Beiträgen von Doris Weilandt, Dr. Dietmar Ebert, Stephan Laudien und den Künstlern Horst Hoheisel und Andreas Knitz.
Der Botho-Graef-Kunstpreis 2018
Der Wettbewerb zum zehnten Botho-Graef-Kunstpreis der Stadt Jena und die Initiative für ein dezentrales Denkmal für Eduard Rosenthal ist der künstlerische Beitrag zur Wiedererinnerung. Das Konzept für den beschränkten Wettbewerb erarbeitete Prof. Dr. Verena Krieger gemeinsam mit ihrer Mitarbeiterin Andrea Karle und Studierenden der Kunstgeschichte und Filmwissenschaft. Die Lehrstuhlinhaberin für Kunstgeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena kuratierte auch den Wettbewerb, aus dem der Entwurf »Erkundungsbohrungen« von Horst Hoheisel und Andreas Knitz als Sieger hervorging, der im Jahr 2020 - 100 Jahre nach Gründung des Landes Thüringen - realisiert werden konnte.
Zur Dokumentation des Wettbewerbs ist ein umfassender Katalog erschienen. Er enthält ausführliche Informationen über Eduard Rosenthal, das Konzept des dezentralen Denkmals, die beteiligten Künstlerinnen und Künstler und ihre Entwürfe sowie über den Wettbewerb als Prozess. Der Katalog wurde herausgegeben von Verena Krieger und Jonas Zipf und ist im Buchhandel erhältlich.
E.R. – Inszeniertes Porträt eines Vergessenen
Anlässlich der drei Jenaer Denkmalstandorte wird die Stadt Jena selbst zur Bühne für ein bewegtes Portrait. Die theaterinszenierte Führung markiert Spuren und Fragmente der vergessen gemachten Persönlichkeit Eduard Rosenthal. Auf einer unterhaltsamen wie eigenwilligen Entdeckungsreise führt der Schauspieler Markus Fennert in eine Stadt, die ohne Eduard Rosenthal nicht die heutige wäre. Aus der Perspektive E.R.s schärfen die Teilnehmer*innen den Blick, vermessen Leerstellen und setzen mit historischen Bildabgleichen neue Fixpunkte. Sie markieren Spuren und eindringliche Wendepunkte, hören den Zeitgeist jener Jahre und tauchen in Archive ein, um Vergessenes und Verdrängtes zu bergen. Auf ein ungewöhnliches Wiedersehen und Kennenlernen!
Konzept, Recherche & Regie: Anke Heelemann/ FOTOTHEK
Performance: Markus Fennert
E.R. und DU – Workshop mit Jenaer Schüler*innen
Im Rahmen der Wiederaufnahme der Spurensuche 2021 konnten zwei Projekttage mit Jenaer Schulen realisiert werden. Die Schüler*innen der 10. und 12. Klasse tauchten einen ganzen Tag in die Jenaer Geschichte ein und lernten ihre Stadt neu zu sehen. Sie gingen mit dem Schauspieler Markus Fennert auf Spurensuche, nahmen exklusiv an der theaterinzenierten Führung teil. Zuvor machten sie Bekanntschaft mit verschiedensten Denkmal(form)en und ihrer Geschichte und gewannen so einen ersten Einblick in die Entwicklung der Denkmal-Kultur in Europa/Deutschland/Jena.
Weg also vom Heroen auf Sockel hin zu einer kritischen Denkmalkultur in deren Tradition auch das Rosenthal-Denkmal steht. Die Jugendlichen wurden angeleitet, die verschiedenen künstlerischen Strategien hinter den Denkmalen zu diskutieren – immer verbunden mit der Frage, wie eine Stadtgesellschaft an wen erinnert. Ist jemand im Stadtgedächtnis verankert, wenn man ihm oder ihr ein Denkmal gebaut hat? Am Beispiel Eduard Rosenthals lässt sich diese Frage besonders gut hinterfragen. Ist es doch erstaunlich, dass wir heute noch von Rosenthals vielfältigem Engagement profitieren, wenn wir als Bürger*innen des Freistaats Thüringen in die Jenaer Ernst-Abbe-Bücherei gehen oder Ausstellungen im Jenaer Kunstverein ansehen.
Als Nachlese bekamen die Schüler*innen je einen schwarzen Stoffbeutel mit der Aufschrift »E.R.« geschenkt. Verbunden mit der Einladung, mit dem Beutel Eduard Rosenthal durch Jena und darüber hinaus zu »tragen«, erweitern sie so nicht nur das Denkmal in seiner Dezentralität, sondern verbreiten auch das Wissen über Eduard Rosenthal, seine Verdienste, sein Engagement und sein Vergessengemacht-sein.
Feedback der Gemeinschaftschule Wenigenjena
Michael Helbing schreibt in Spurensuche in Jena: Ein Bild wird neu gerahmt für die Thüringer Landeszeitung am 7. Oktober 2020:
Im fünften Jahr wühlt sich das Duo mit diesem Theaterformat durch urbane Zeitschichten. Es hebt den Teppich, unter den Geschichte gekehrt wurde, kratzt am Lack des Vergessens und lässt Putz von Wänden bröckeln, auf dass Erinnerung ins Gedächtnis rieselt. Die performative Spurensuche (...) folgt stets dem Motto, mit dem uns Fennert jetzt einmal von einer Station zur nächsten ruft: „Weiter geht’s! Vorwärts in die Vergangenheit!“ [...] Es geht auf dieser Tour aber immer um mehr als um Gedenken und Erinnern, es geht auch um eine bisweilen spöttische, bisweilen traurige Kritik der Gedenkkultur selbst. Fennerts Teleskop-Zeigestab ist kein verlängerter Zeigefinger, eher mutiert er zum Fragezeichen. Der Staubwedel seiner Assistentin, die im Rollwägelchen Dokumente und Fotos spazieren fährt, entfernt an Denkmälern und Gedenktafeln kaum vorhandenen Staub. Was wir entdecken, mag das heißen, lag immer schon offen vor uns.
Film zu Eduard Rosenthal
Der Film Eduard Rosenthal – Fragmente eines Lebens versucht durch die Kombination von Erinnerungen, Reden und Briefen mit heutigen Bildern von Orten, an denen Eduard Rosenthal gewirkt hat sowie mit historischen Fotos und Autographen ein lebendiges Bild des bedeutenden Rechtsgelehrten zu zeichnen. In eindrucksvollen Texten und Bildern werden einzelne Begebenheiten seines langen Wirkens für die Stadt Jena und das Land Thüringen erzählt. Für die Zuschauerinnen und Zuschauer wird Rosenthals Einsatz für die Jenaer Lesehalle und Leihbibliothek, seine Tätigkeit als erster Vorsitzender des Jenaer Kunstvereins und als geschätzter Professor der Juristischen Fakultät und zweimaliger Rektor der Jenaer Universität plastisch erlebbar. Im Film wird anhand von Dokumenten erzählt, welche bedeutende Rolle Eduard Rosenthal durch den von ihm vorgelegten Verfassungsentwurf, der mit wenigen Änderungen in den Folgejahren das erste demokratische Grundgesetz für Thüringen bildete, spielte.
Ein Film von Torsten Eckold nach Motiven des Buches »Eduard Rosenthal – ein Charakterporträt« von Dietmar Ebert.
Eduard Rosenthal. Ein Charakterporträt
In seinem 2018 bei edition Azur Dresden erschienenen Buch »Eduard Rosenthal – Ein Charakterporträt« entwirft der Jenaer Kultur- und Literaturwissenschaftler Dietmar Ebert ein lebendiges Bild des Rechtsgelehrten Eduard Rosenthal. Der Autor würdigt Rosenthal als »Vater« der Thüringer Verfassung und als tatkräftigen sozial und kulturell engagierten Bürger der Stadt Jena, der die Jenaer Lesehalle zu einem Kulturinstitut von europaweiter Bedeutung entwickelte. Von den Nationalsozialisten totgeschwiegen, in der DDR fast vergessen, findet Rosenthal nun endlich den ihm gebührenden Platz im kulturellen Gedächtnis.
Ausgehend von Briefen, Karten, Reden und Dokumenten, die er in sechs Jahren intensiver Archivrecherche, ausfindig und zum Teil zugänglich machte, zeichnet Dietmar Ebert das Bild eines weitblickenden jüdischen Juristen, dessen wissenschaftliche, soziale und kulturelle Leistungen ihm Respekt und Anerkennung weit über seinen Wirkungsort hinaus eingebracht haben.
Ein Blick auf die Verfassungsgeschichte
Das wissenschaftliche Werk des Juristen Eduard Rosenthal wurde durch den Rechtshistoriker Gerhard Lingelbach erforscht. Seine Studie von 2006 beleuchtet vor allem die Verdienste Rosenthals um die Erarbeitung der Thüringer Verfassung.
Das rekonstruierte Gemälde
Ende der 1990er Jahre erteilte Dr. Horst Skoludek, Vorstandssprecher der zeiss AG Oberkochen, als Verwaltungsratsvorsitzender der Freunde und Förderer der Friedrich-Schiller-Universität der Jenaer Malerin Gerlinde Böhnisch-Metzmacher den Auftrag, das verschwundene Bildnis Rosenthals auf Grundlage von Fotografien zu rekonstruieren. Außerdem sollte sie ein postumes Bildnis des berühmten, ebenfalls an der Universität Jena tätigen jüdischen Psychiaters Otto Binswangers schaffen. Beide Gemälde hängen heute im Vorzimmer des Präsidenten der Universität Jena.
»Achtung Perspektivwechsel! Jüdisches Leben bewegt« oder »E.R. und DU«
Ein Bildungsprojekt »Jüdisches Leben erfahren« im Rahmen des Themenjahres »Neun Jahrhunderte Jüdisches Leben in Thüringen« der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung Thüringen e.V.
Konzept, Workshopleitung: Andrea Karle & Anke Heelemann
Veranstalter: JenaKultur, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Förderer: Programm 360° – Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft, Landeszentrale für politische Bildung Thüringen
Beteiligte Schulen: Jenaplan-Schule Jena (Anshelika Muchina), Gemeinschaftsschule Wenigenjena (Claudia Rudolph, Ralf Leipold) betreut durch Kulturagentin Sandra Werner und Sybill Hecht (Schulamt Ostthüringen)
Faszination aufgrund von Performance und unbekannten Orten zu E.R.
Klasse 11s2 begab sich auf Spurensuche nach dem Porträt von Eduard Rosenthal
Am 14.Oktober 2021 stand ein besonderes Projekt für die Klasse 11s2 auf dem Plan. Wir begaben uns auf eine geschichtliche und künstlerische Zeitreise einer bisher für uns und viele Jenaer Bürger*innen unbekannten Person. Ausgangspunkt waren dafür die drei Erkundungsbohrungen am Universitätshauptgebäude, dem Volkshaus und der Villa Rosenthal, die das dezentrale Denkmal in Jena für das Leben und Wirken von Eduard Rosenthal bilden.
Zu Beginn setzten wir uns in einem Workshop in der Universität mit der Geschichte des Denkmals und der Entwicklung der Erinnerungskultur anhand verschiedener Gedenkorte in und außerhalb Deutschlands auseinander. Wir fragten uns, welche Bedeutung Denkmale haben und auf welche Weise ein Gedenken zeitgemäß ist.
Im Anschluss begaben wir uns auf einen Spaziergang der besonderen Art. Die Persönlichkeit Eduard Rosenthal wurde uns an verschiedenen Stationen, u.a. Universitätshauptgebäude, Rosensäle, Ernst-Abbe-Denkmal, Volkshaus und Villa Rosenthal, durch einen außergewöhnlichen Zugang präsentiert und sehr nahegebracht. Eduard Rosenthal, der »Vater« der Thüringer Landesverfassung, Gründer der Lesehalle im Jenaer Volkshaus, Mitbegründer des Jenaer Kunstvereins und Rektor der Friedrich-Schiller-Universität wurde auf Grund seiner jüdischen Herkunft von den Nationalsozialisten vergessen gemacht. Der Schauspieler Markus Fennert inszenierte das Leben in Fragmenten und gewährte uns einen Zugang zu besonderen Orten in unserer Stadt. Durch die Hintertür erhielten wir eine eindrucksvolle Perspektive auf die Schaffenskraft von Eduard Rosenthal und die seiner Frau Klara.
Zum Schluss diskutierten wir in einer Reflexionsrunde darüber, dass die Bohrungen allein nicht ausreichen, um die Wirkung Eduard Rosenthals zu entfalten. Wir sind einig darüber geworden, dass weitere Zugänge (zusätzlich zum Denkmal) sowie Kontexte geschaffen werden müssen, um die die Geltung der Person zu repräsentieren.
Dieser besondere Tag wurde uns von Anke Heelemann möglich gemacht und finanziell unterstützt durch das Bildungsprojekt »Jüdisches Leben erfahren« im Rahmen des Themenjahres »Neun Jahrhunderte Jüdisches Leben in Thüringen« der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung Thüringen e. V.