In Jena lebt sich‘s bene?
Inklusion – dieser terminus ist in aller Munde.
Zurecht. Abgeleitet vom lateinischen
inclusio, „Einschließung“, „Einschluss“ meint er: Jeder soll seinen Platz haben, soll
„eingeschlossen“ sein, sich „eingeschlossen“, zugehörig fühlen – unabhängig
von Geschlechtsidentität, Alter oder Herkunft, von Religionszugehörigkeit oder
Bildung, von eventuellen geistigen, seelischen oder körperlichen Behinderungen
oder sonstigen individuellen Merkmalen.[1]
In der Universitätsstadt an der Saale lebt es sich weltoffen; die Stadt zeichnet sich aus durch wissenschaftlichen Erfindergeist und wirtschaftliche Innovationskraft – und durch eine außergewöhnliche, von einer starken Zivilgesellschaft getragene Stadtgesellschaft. In Jene lebt sich‘s also bene?! Eine Initiative aus Akteuren der Jenaer Kultur, Verwaltung, Wissenschaft und Bildung findet, es geht noch besser, noch l(i)ebenswerter: Es geht noch inklusiver! Für ein gelingendes Zusammenleben der gesamten Stadtbevölkerung eignet sich keine Überschrift besser als Inklusion. Eine inklusive Gesellschaft definiert keine Normalität. Normal ist lediglich die Tatsache, dass Unterschiede vorhanden sind und als bereichernd wahrgenommen werden.
Aber jeder, der seine Alltagserfahrungen prüft, stößt schnell auf unterschiedliche Beispiele für Ausgrenzung und Diskriminierung. Und jeder kennt sofort auf sich selbst bezogen auch schmerzliche Situationen der Ausgrenzung und Diskriminierung, selbst wenn er eigentlich vermeintlich kein landläufiges Handikap hat. Was ist etwa mit der jungen Mutter, für die eine Treppe ohne Schräge zum unüberwindlichen Hindernis mit dem Kinderwagen wird? Was ist mit dem Nichtmuttersprachler in einer komplizierten Konversation? Was ist mit dem Kind, das zu klein ist, um einen bestimmten Klingelknopf zu erreichen? …
Wie leben wir zusammen?
Eine Stadt ist die kleinste Einheit unserer Gesellschaft. Hier zeigt sich ganz greifbar, wie wir zusammenleben. Wer gibt in der Stadt den Ton an? Sind das immer die gleichen Stimmen, oder sind es viele verschiedene? Über welche Themen wird oft geredet, über welche weniger? Wie sieht das Stadtbild aus? Auf was für Menschen treffe ich, wenn ich in der Innenstadt einkaufe? Welchen Menschen begegne ich, wenn ich in verschiedenen Stadtteilen unterwegs bin? Welche Themen begegnen uns in der lokalen Tageszeitung, bei Gesprächen an der Uni, mit der Nachbarin oder in der Straßenbahn? Wer sind die Menschen, die sich öffentlich viel zu Wort melden? Welcher Ton herrscht bei öffentlichem Meinungsaustausch? Worüber sprechen wir? Wer hat wie viel zu sagen? Wie reden wir miteinander?
Wie wollen wir leben?
Die Initiatoren, Vertreter der Verwaltung und von JenaKultur mit seinen Einrichtungen; Behindertenbeirat, verschiedenen Selbstorganisationen Betroffener, Evangelisch-lutherischer Kirchenkreis, Hochschulen, Theaterhaus, und eine Vielzahl weiterer Akteure im Feld der Inklusion stellen sich all diese Fragen und finden, die Zeit ist reif, das Thema Inklusion im Jahre 2020 einmal besonders herauszustellen. Das erste Jenaer Inklusionsfestival unter dem beziehungsreichen Titel „Mit Behinderungen ist zu rechnen“ soll Jena in einen kreativen Ausnahmezustand versetzen. Kunst und Kultur sind Seismographen gesellschaftlicher Entwicklungen. Kunst und Kultur regen Diskurse an, darüber, wie wir leben wollen. Gern geben sie das Versprechen, besonders vielfältig zu sein. Das klingt logisch. Schließlich hat der Kulturbereich das positive Image, weitgehend frei von Grenzen und Verboten zu sein, offen für Kreativität und Experimente. Die Kunst ist schließlich frei! Nutzen wir ihre Potentiale für eine Zukunftsforschung der besonderen Art! Wir werden gern immer wieder über den Fortgang unserer Arbeit berichten.
[1] In Deutschland leben 81 Millionen Menschen, jeder achte davon hat eine Einschränkung. Das sind erstaunliche 7,8 Millionen Menschen!! Wahrscheinlich sind es sogar noch mehr. Denn nicht alle melden sich deswegen bei einer Behörde.
Nach der Definition der UN-Behindertenkonvention gelten Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können, als behindert.
Behinderung ist also kein diagnostizierbarer Defekt oder ein Defizit, Behinderung ergibt sich quasi erst aus der Wechselwirkung zwischen den Beeinträchtigungen von Menschen und den verschiedenen Barrieren in der Gesellschaft.
Diskutieren Sie gern mit uns! Erzählen Sie von Ihren Erfahrungen!
Welche Wünsche haben/hätten Sie an ein solches Festival? Würden/möchten Sie sich selbst einbringen?