Eduard Rosenthal

Eintrag vom 16. Dezember 1906 (Auszug)

Freitag abend saßen wir wieder im „Kaffee Passage“. Vorher Vortrag von Rosenthal. Leitzmann gilt als Anreger der Nach-Kaffee-Sitzungen. Ich bin sehr dafür, denn beim Vortrag sind doch einige uns weniger vertraute Kollegen dabei und deshalb kommt es da nie zu der lebhaften und gemütlichen Aussprache wie im Kaffee. Es setzten sich an den runden Tisch gleich rechts am Eingang. Rosenthal, Leitzmann, Weinel, Hedemann, Paul Weber, Baentsch. Diese kurzen so frisch verplauderten Stunden sind für mich mit das Netteste in Jena.

Eintrag vom 15. Januar 1922 (Auszug)

Gestern begruben wir Berthold Delbrück, die eigenartigste Gelehrtenpersönlichkeit unserer Universität, die stärkste geistige Kraft unter allen, durch und durch Wissenschaftler, und nebenbei der Familienüberlieferung entsprechend, auch Politiker und Wissenschaftler, ungewöhnlich klar, auch scharf, ein abgesagter Feind aller Redensarten, aller Selbstberäucherung, wie sie jetzt z.B. durch die Familie Eucken betrieben wird, nach Weinels Wort vielleicht zu klug, um wirklich groß zu sein.[…] Auf die Frauen wirkte Delbrück sehr stark und soll früher ziemlich lebhaft seinen Neigungen Ausdruck gegeben haben. Grobe Züge, starke Kurzsichtigkeit, aber beherrschender Geist. Frau Rosenthal war immer ganz weg von ihm. Die schönste Frau – der gescheiteste Mann!

Heinrich Gerland an Eduard Rosenthal Jena, den 29. Mai 1922

Lieber Herr Kollege!

Es macht mir eine große Freude, Ihnen nunmehr meinen Grundriß übersenden zu können. […] Wenn ich dieses Werk, was ich wirklich als die Quintessenz meiner hiesigen Tätigkeit auffassen kann, Ihnen widme, lieber Herr Kollege, so glauben Sie mir, daß es von Herzen kommt. […] Als ich am 22. April 1902 hier eintraf, war ich noch ein recht törichter junger Mensch in dem schönen Alter, in dem man noch recht verliebt sein kann, und mit einem Charakter, der, wie er sich nach außen hin auch geben mag, vielleicht doch etwas stärker durch seine Empfindungen beeinträchtigt wird, als die Umgebung gemeiniglich annimmt. Ich habe mich damals nur äußerst schwer von Strassburg, an dem ich heute noch leidenschaftlich hänge, und von meiner Familie trennen können. Ich sah mich in eine ganz fremde Umgebung versetzt, und da ich einen sehr konservativen Zug in meinem Herzen habe, ist mir die Eingewöhnung in die Jenenser Verhältnisse schwer gefallen. […] Hier haben Sie nun die Ausnahme gemacht, die mir in Wahrheit das Einleben ermöglichte. Von dem ersten Besuch an, den ich in Ihrem wunderschönen Heim gemacht habe, von der ersten Einladung an (das war ein Mittagessen) habe ich bei Ihnen stets dasselbe gefunden, das warme starke Interesse, die Sorge für den Jüngeren, und wenn ich daran denke, wie Sie mir mit offenem Rat stets zu helfen bereit waren, wenn ich an die schönen Abende in der Staatswissenschaftlichen und Historisch-philosophischen Gesellschaft denke, wenn ich alle die Nachsitzungen nach diesen Diskussionsabenden in meiner Erinnerung an mir vorüber ziehen lasse, dann sind immer Sie und Sie es wieder, der mir in den eigentlichen Etappen meines Lebens hier in Jena zur Seite geht. Von all denen, die im Jahre 1902 mit uns zusammen gearbeitet haben, sind wir ja auch in der Fakultät die beiden letzten. Alle anderen, mögen sie dienstälter sein oder nicht, sind doch erst beträchtlich später gekommen, und die Tradition in der Fakultät verkörpern Sie und ich. Dieser Tradition, soweit es Ihre Person betrifft, meine Reverenz zu machen, das war auch einer der Gründe, warum ich Ihnen mein Buch gewidmet habe. Aber wenn ich ganz aufrichtig sein darf, sind es nicht nur Sie gewesen, dem dieses Buch wenigstens in Gedanken gewidmet ist. Bei allen unseren Beziehungen spielt doch eine wesentliche Rolle Ihre Frau Gemahlin. Was ich ihr zu verdanken habe, brauche ich Ihnen ja nicht weiter auseinanderzusetzen. Aber wenn ich meine Arbeit namentlich nur Ihnen gewidmet habe, so möge Ihre Frau Gemahlin überzeugt sein, daß der dadurch ausgesprochene Dank auch ihr mit gilt, denn in keinem Haus […] habe ich mich so wohl, ja ich möchte sagen, so zu Hause gefühlt wie bei Ihnen. Ich glaube, daß Ihre Frau daher ein gutes Teil der Widmung für sich in Anspruch nehmen darf, und ich möchte darum bitten, daß sie das auch tut. Und nun, lieber Herr Lehrer, dem ich so viel in der historischen Auffassung der Rechtsverhältnisse, in der politischen Durchdringung der Probleme verdanke, lieber Herr Kollege, mit dem ich viele gemeinsame Arbeiten zum Wohl unserer Fakultät und unserer Universität zusammen geleistet habe, und schließlich, wenn ich so sagen darf, lieber Freund, mit dem ich so viele lange Jahre schöne und gute Tage zusammen verlebt habe, lassen Sie mein Buch einen Wegweiser auch für die Zukunft sein, daß wir noch viele Jahre so zusammen wirken werden, wie wir es bis heute getan haben, und daß unsere Beziehungen die alten bleiben, die sie bis jetzt waren.

In Treue Ihr Heinrich Gerland

Eintrag vom 4. Juli 1926 Am Montag, 28.6.,

Begräbnis Rosenthals. Er war ein selten guter Mensch und seine Fehler ergaben sich aus dieser Grundeigenschaft. Aufbahrung in der Aula, gemeinsamer Gang zum Friedhof usw.

Eduard Rosenthal an Clemens von Delbrück Brambach, 2.9.1918

Excellenz,

Meine Frau und ich sind aufs Tiefste erschüttert durch die Trauerbotschaft, die heute Ihr Brief brachte. So hat das mörderische Ringen im Westen auch Sie nicht verschont und Ihnen und der deutschen Zukunft den prächtigen Sohn geraubt, dessen hoher Sinn ihn zum Freunde und Schicksalsgenossen des Vaters machte. Wie kann ich mich in Ihr Seelenleben versetzen und den tiefen Schmerz mit Ihnen empfinden, den dieses dem Vaterland gebrachte Opfer Ihrem Herzen verursacht. Freilich, das Bewußtsein Tausende Leidensgenossen zu haben, kann Trost nicht spenden. Es gibt überhaupt keinen Trost bei so furchtbarem Herzeleid. Ihr vornehmer vaterländischer Sinn wird aber auch dieser grausamen Prüfung Meister werden, und dazu hilft das Gefühl des Stolzes, das Sie beseelen muß, wenn Sie an das denken, was dieser junge Held seinem Vaterland geleistet. Das ist ja das Entsetzliche an diesem grausamen Menschenmorden, daß es unfehlbar die Trefflichsten erfaßt. Herzlich danke ich Ihnen für die Mitteilung des Schreibens des Regimentskommandeurs. Diese wenigen Zeilen im Zusammenhang mit dem letzten, ergreifenden Lebenszeichen Ihres Sohnes geben ein anschaulicheres Bild von der Furchtbarkeit dieser Kämpfe im Westen als lange Kriegsberichte. Sie führen aber auch eindrucksvoll zu Gemüte, welch ungeheure Bedeutung die Maschinengewehre besitzen und herrlich zeigen sie das ideale Einssein von Befehlshaber und Mannschaft bei der Kompanie Ihres Sohnes. Welch vielseitiges Talent, welch große Hoffnungen liegen darnieder im Feindesland und gehen unserer Kulturentwicklung verloren. Lassen Sie mich, verehrteste Excellenz, mit einem innigen Händedruck sagen, wie tief und schmerzbewegt ich mit Ihnen empfinde. Ich bin seit Jahresfrist nicht mehr Optimist, ich glaubte und glaube nicht an einen Frieden, wie wir ihn zum Schutze gegen künftige Angriffe erringen sollten, aber ich bin überzeugt, daß uns die Feinde nicht nieder ringen und daß wir sie an den Verhandlungstisch zwingen. […] In militärischen Kreisen meint man, daß wir die Offensive wieder ergreifen. Ich kenne die Stärke unserer Reserven nicht und weiß nicht, wann das möglich ist. Der junge Jahrgang muss nicht eingesetzt werden. […] Wie leid tut es mir, daß ich in dieser schweren Zeit nicht bei Ihnen sein kann.

In aufrichtiger liebevoller Verehrung Ihr treuergebener Eduard Rosenthal

Auszüge aus Berthold Litzmann „Im alten Deutschland. Erinnerungen eines Sechzigjährigen“, Berlin 1923

Vor allem aber war es ein Haus in der Kahlaischen Straße, in dem mir seit dem Winter 1885 liebe Freundschaft wohnte, wenn ich vom ersten Stock, in dem Rudolf Thurneysen als Junggeselle hauste, zum zweiten emporstieg und zu dem jungen Ehepaar Rosenthal mich an den Tisch setzte. Eduard Rosenthal aus Würzburg, den ich, vier Jahre älter als ich, schon als Extraordinarius für öffentliches Recht und deutsche Rechtsgeschichte in Jena vorgefunden, hatte vom ersten Tage an unter allen jungen Kollegen auf mich die stärkste Anziehungskraft ausgeübt. Mit vielseitigem Wissen, mit stets wachem Interesse, mit klugem Urteil und feinem Geschmack in künstlerischen und literarischen Dingen verbanden sich bei ihm Charakter-und Herzenseigenschaften zu einer harmonischen Einheit, wie sie mir weder früher noch später in der Vollkommenheit wieder begegnet sind. Die Aufrichtigkeit seiner Gesinnung und die natürliche Liebenswürdigkeit seines Wesens machten den Verkehr mit ihm zu einer Bereicherung des Lebens. Und es war mir eine der wertvollsten Errungenschaften des ersten Semesters gewesen, daß sich zwischen ihm und mir wirklich freundschaftliche Beziehungen geknüpft hatten, die in der Folge sich immer näher und herzlicher gestalteten, vor allem, als er im Herbst des folgenden Jahres sich seinen eigenen Hausstand gründete. Denn obwohl ich zunächst, wie alle anderen Tischgenossen, sein Ausscheiden aus der Junggesellentafelrunde im Bären als eine Art Beeinträchtigung, wie eine Art Lichtentziehung zu empfinden und zu beklagen bereit war, entdeckte ich sehr bald, daß dieser scheinbare Verlust für mich einen Gewinn bedeutete. Denn die Häuslichkeit des jungen Paares ward für mich zu einer Licht-und Wärmequelle, wie ich sie bisher noch nicht gekannt. Der jungen, klugen, lebhaften, zierlichen Frau, mit dem von kurzem, schwarzem Haar umrahmten römischen Pagenkopf bereitete es nicht nur eine ihr an den Augen abzulesende Freude, dem gerade um diese Zeit in seinen Freiersnöten den letzten Entscheidungskampf ausfechtenden Gastfreund es sich bei ihr behaglich, heimisch zu machen, sondern sie verfügte auch wie ihr Mann über eine solch liebenswürdige Begabung in dieser Hinsicht, daß kaum ein Abend verging, an dem ich, wenn ich die Freunde daheim wußte, nicht nach getaner Arbeit die Lust verspürt hätte, aus dem Schillergäßchen noch einen Sprung in die Kahlaische Straße zu machen, um im Gespräch mit den beiden mir den Tagesstaub von der Seele zu blasen. Wir waren alle drei ja jung und auf die Zukunft gerichtet, in unseren Anschauungen, nicht zum wenigsten den politischen, gut zusammenstimmend, in literarischen und künstlerischen Dingen, wenn auch nicht immer einer Meinung, so doch einander verstehend; und Mann und Frau vor allem stets empfänglich für das, was ich an neuen Eindrücken und Erlebnissen in geistigen Dingen ihnen noch unberührt von kritischen Reflexionen mit frischer Unmittelbarkeit mitteilte. Manche stille Abendstunde saßen wir zusammen. Ich las ihnen aus meinen Lieblingen, alten und neuen, vor und freute mich, wenn sie mitgingen. Konrad Ferdinand Meyers Gedichte führte ich damals vor allem als neuen Schatz mit mir stets in der Tasche. Und noch heute, wenn ich „Trüb verglomm der schwüle Sommertag“, „Meine eingelegten Ruder triefen“, den „Gesang der Parze“, „Die Füße im Feuer“ lese, sehe ich die beiden jugendlichen Köpfe vor mir, in deren Augen der Widerschein des Miterlebens aufglimmt. Wir konnten auch so gut miteinander schweigen. Wir brauchten nicht zu sprechen. Dann spann eben jeder in stillen Gedanken weiter, was eben gesagt, ließ ausklingen, was eben gehört. Und keiner störte den anderen. Aber plaudern und lachen konnten wir auch und ich höre noch den Stimmklang der jungen Frau, wenn sie, den trüben Gastfreund auf andere Gedanken zu bringen, Fäden in die Zukunft spann und sich und uns ausmalte, wie schön das Zusammensein sich erst gestalten werde, wenn wir zu viert zusammensäßen und ich das Glück, dem ich nachjage, wirklich mit Händen greifen könne. Dann würde für uns alle erst das rechte Leben beginnen.

Helmut Maurer „Von Mensch zu Mensch“: Aufzeichnungen aus den Jahren 1903-1962, Typoskript Berlin 1975, zusammengestellt von seinen Schülern und Freunden.

Auszug

Der Kunsthistoriker Botho Graef hatte Stefan George gebeten, im Hause des Juristen Rosenthal vor den Jenaer Professoren zu lesen. George sagte zu, zog sich aber von der Gesellschaft zurück, da man dort ganz plebejisch „Krebse fraß“. Als man ihn nach gutem Essen herunterholen wollte, saß er allein bei Kaviar und Sekt und erklärte, nur in einem Lila-Zimmer lesen zu können. Frau Geheimrat Rosenthal schickte in die Stadt, holte rollenweise lila Papier und ließ die ganze Diele ausschlagen. Nach einer halben Stunde versammelte man sich in der Diele, die Stimmung war entsprechend. (Karl Franz, der Gynäkologe wollte Herrn George hinter die Ohren schlagen.) Stefan George setzte sich aber zwischen zwei Kerzenleuchter und sprach: In drei Minuten war lautlose Stille. Nach zwei Stunden ging man nach Hause und noch lange wurde von diesem großartigen Abend gesprochen: Man hatte gemerkt, wer das war. Rosenthal, der Herr dieses Abends, war als Jurist bei der Schaffung der Weimarer Verfassung beteiligt, sodaß wir ihn oft den „Onkel Nathan“ nannten. Er gehörte zu den ganz großen Juden, die ins Reich der Propheten gehörten,- später traf ich mit Bruno Walter, Albert Einstein etc. noch andere dieser Art. Bei Rosenthal lernte ich zum ersten Mal: „Das Gesetz ist in Ordnung, aber die, die es auslegen, sind es nicht.“