Clueso. Muss man eigentlich nicht vorstellen. Der Mann gehört inzwischen zum Kulturerbe Thüringens wie Vita Cola und Rennsteiglauf. Auch während der Corona-Pandemie gönnt sich der Erfurter keine Auszeit, sondern ist, wie er sagt, so produktiv wie nie. Clueso ist ganz oben angekommen – hat aber nicht vergessen, wo er herkommt. Bei unserem Treffen im Zughafen in Erfurt erinnert er sich an die ersten Schritte im Musikgeschäft.
In deinem Wikipedia-Eintrag steht: „Durch zahlreiche Jams im Jenaer Kassablanca und in anderen Städten Deutschlands konnte er seine Fähigkeiten als Rapper und Entertainer trainieren.“ Du warst damals 16 bzw. 17 Jahre alt. Helmut Kohl war noch Kanzler, Berti Vogts Bundestrainer und in der Straßenbahn durfte man noch rauchen…
Clueso: In Fahrstühlen auch, und im Kinderzimmer…
Nimm uns doch bitte mal mit auf eine kleine Zeitreise. Was waren das für Jams, wie bist du überhaupt darauf aufmerksam geworden, mit wem warst du da?
Clueso: Wir haben etwa 1995 angefangen uns für Hip Hop und Rap zu interessieren. Wir hatten den Traum, mal eine eigene Band zu haben. 1996 gründeten wir dann unser erstes Projekt, EFP96…
Das Erfurt Project 96…
Clueso: Genau, und dann fingen wir an von Jam zu Jam zu fahren, meist waren die in Jugendclubs, und da bekamen wir irgendwann mal einen Flyer in die Hand vom Kassablanca, Gleis 1. Dort traten praktisch alle unsere Helden aus dem Hip Hop auf, Massive Töne zum Beispiel, alles so Leute, deren Platten wir kauften und die wir nur aus dem Fernsehen kannten, von Viva oder so. Und wir sind da immer hingefahren und deswegen war das so „unser Club“.
Ihr seid mit dem Zug gefahren?
Clueso: Ja, wir sind teilweise mit dem Wochenendticket, mit 30 Leuten rübergefahren. Wir hatten – der Begriff stammt noch aus dem Osten – eine „Patenbrigade“, die immer mit uns unterwegs war, 6300, eine Crew aus Ilmenau, und viele kreative Leute aus Erfurt – Maler, Writer, Breakdancer, DJs – die wollten alle ins Kassa, das war das Paradies. Weil dort gab es Waggons mit Graffiti, es gab Breakdancer, die getanzt haben in kleinen Runden, es gab Freestyle-Sessions, wo Leute in irgendeiner Ecke gefreestyled haben. Für uns war Hip Hop so ein kreatives Auffangbecken, und das Kassa war unser Zuhause, manchmal sind wir zwei volle Tage geblieben und haben in den Schlafwaggons gepennt. Es gab, glaub ich, damals mehr Leute, die was Kreatives gemacht haben, sowohl im Publikum als auch auf der Bühne, als heute. Jeder war Aktivist, jeder hat was gemacht. Heute ist es schon eher so, dass man mehr Konsument ist, wenn man ausgeht.
Es ist dann manchmal auch ein wenig ausgeartet, wenn ihr gefeiert habt.
Clueso: Ja, man war ja auch noch jung. Und das Kassa war, was das angeht, immer strapazierfähig. Es hat uns, ähnlich wie in einem Jugendheim, dirigiert und uns einen Platz gegeben, wo wir uns austoben und kreativ weiterentwickeln konnten. Und das war noch vor den ersten Auftritten! Und die kamen, weil wir Danny Engel kennengelernt haben, der später dann auch Manager von Wir sind Helden wurde…
Danny Engel, der damals seinen Zivildienst im Kassa machte.
Clueso: Genau, und der hat gesagt, „wenn ihr Bock habt, mach ich ein bisschen Management für euch.“ Und meinen späteren langjährigen Manager, Andreas Welskop, den hab ich ebenfalls im Kassa kennengelernt. Der hat mich dort bei einem Jam gesehen. Manchmal, wenn ich mir Videos von damals anschaue, frage ich mich, was er da gesehen hat. Aber irgendwas hat er halt gesehen, und er hat mir eine Platte geschenkt, Quadratur des Kreises von Freundeskreis. Das hat mich sehr geprägt. Und er hat gesagt, dass er toll findet, was ich mache, und dass ich ihn mal bei MZEE Records in Köln besuchen soll, wo er damals gearbeitet hat. Das hat mir ganz viel Hoffnung gegeben. Und dann bin ich da irgendwie so reingerutscht.
Ein Interview mit Ilja Gabler und DJ Légerès, den Machern der legendären Boomshakalaka-Jams im Kassablanca, finden Sie hier.
Abgesehen von dem karriereschub, warum waren diese Jams so wichtig für dich?
Clueso: Ein Typ wie ich, für den war das kreativste, was er damals machen konnte, eine Friseurlehre. Und ich hab’s gehasst. Sorry, für alle, die Friseur lernen. Aber ich hab’s gehasst, weil ich hab da nicht reingepasst. Für einen Typen wie mich war das geil zu sehen: da im Kassa gibt es eine Bühne, und die fühlt sich nicht so riesig an. Dieser ganze Personenkult war nicht so big, nicht so dass man dachte: das werde ich nie schaffen. Ich stand nur einen halben Meter tiefer als die Stars und dachte: geil! Die sind so wie ich! Vielleicht ein paar Jährchen älter, aber das könnte ich auch machen. Und das ist das Gute an solchen Clubs, dass es so nah ist, und nicht so aufgeblasen durch Riesenshows oder irgendwas. Das sag ich als jemand, der jetzt Riesenshows gibt, aber ich kann es halt jetzt nicht mehr verkleinern, ich mein das nicht angeberisch. Ich hab mir so viele Bands reingezogen im Kassa, aus allen Richtungen, auch Sachen die ich gar nicht kannte, wie Bohren und der Club of Gore, einfach weil das Kassa so ’ne Instanz ist, die jede Woche was Geiles macht und man denkt so: ich geh da mal hin, auch wenn ich nicht weiß, was da läuft.
Mit deinem ehemaligen Manager Andreas Welskop hast du 2002 in Erfurt den Zughafen gegründet. Kannst du mal kurz erklären, mal unabhängig von deiner Musik und karriere, warum gerade ostdeutsche Städte wie Jena und Erfurt solche Clubs brauchen?
Clueso: Im Endeffekt ist das ja in dieser Coronazeit die allgemeine Frage, die man sich so stellt: Ist das Kunst oder kann das weg? Wozu braucht man das im Allgemeinen? Ich glaube, es ist einerseits grundsätzlich wahnsinnig wichtig für eine Gesellschaft, dass es Orte wie Clubs oder Theater oder Ähnliches gibt, an denen man sich entladen kann. Neben den ganzen Befehlen, die man so kriegt im Leben, ist der einzige Befehl bei so einer Veranstaltung: mach dich frei! Das ist gut, damit wir nicht so gereizt durch den Alltag gehen, und irgendwie auch ein bisschen kreativ im Hirn werden. Das andere ist: Clubs wie das Kassa, die so lange überlebt haben und jetzt straucheln und kämpfen müssen, leisten auch eine kulturelle Basisarbeit. Hier wird Kultur im Kleinen gefördert. Die allerersten DJs, die ich kenne, haben alle hier aufgelegt. Egal mit wem du redest hier in der Region – wer irgendetwas mit dem Business zu tun hat, war im Kassa, hat sich dort ausgetauscht und kennengelernt. Und da ist es egal, ob das jemand ist, der gebreakt hat und jetzt eine Tanzschule hat, oder ob jemand gesprayt hat und jetzt Ausstellungen macht irgendwo in der Welt.
Deswegen weiß offenbar auch Samy Deluxe noch, was das Kassa ist.
Clueso: Genau, ich war gestern in Berlin und hab mich mit Samy Deluxe unterhalten. Und der meinte: “Ich hab dich gesehen damals im Kassa!” Irgendwann in den 90ern nach seinem Konzert mit Dynamite hat er mich da noch rappen gehört. Wenn es bergab geht, hieß das Lied. Und er hat sich die Hook gemerkt! Ich konnte mich gar nicht dran erinnern. Aber dann haben wir über das Kassa gesprochen und er hat erklärt, dass das auch für ihn geil war, dass er sich da eine Community aufbauen konnte. Das ist ja auch geil, dass man, wenn man eine Weile unterwegs ist, auch das passende Ego bekommt. Denn wenn man Musik macht, bekommt man viel Kritik. Weil man auf Kunst nur mit Kritik antworten kann. Aber das Ego kann man dann wieder aufladen, wenn man ne Bühne hat, auf der man spielen kann, auch ohne dass man bekannt ist.
Hier ist das komplette Interview im Video zu sehen:
Christian Gesellmann: Das Kassa feiert dieses Jahr seinen 30. Geburtstag! Ein Jahr lang werde ich mich als Stadtschreiber mit den Menschen treffen, die diesen einzigartigen Verein und Club geprägt haben, und ihre Erinnerungen aufschreiben – und natürlich mit Ihnen/dir teilen, hier auf diesem Blog, auf Facebook und Instagram.
Welche Geschichten und Erinnerungen verbinden Sie/verbindest du mit dem Kassablanca? Haben Sie/ hast du noch irgendwo alte Fotos von Ihnen/dir und Ihren/deinen Freunden im Kassa? Ich freue mich auf Post an: allesgute@kassablanca.de
Sehr schön, das knallgelbe Poster im Background stammt von http://www.tociwashere.net
Peace!