News // 18.06.2022
Die FilmArena im Interview
Popcorn in der Dämmerung. Klassiker, aktuelle Blockbuster und lokale Geheimtipps. Filme sind ein weiteres Herzstück der Arena, bis zu 13.000 Tickets gehen für die Leinwandabende pro Saison über den Tisch. Um das runde Programm kümmert sich Kai Ostermann vom Film e.V. Jena. 2003 hat er als Filmvorführer im Schillerhof angefangen, seit 2008 leitet er die Geschicke des Vereins als Vorsitzender. Für das Interview hat er sich Unterstützung gewünscht: Sein Vorgänger Holger „Onko“ Fröbe kennt die Anfänge in den wilden 90ern besser als jeder andere. Im Immergrün treffen wir uns zum Plausch über segelnde Leinwände, Cannabis-Exzesse und das legendäre Europapokal-Screening des Spiels Jena gegen Rom. Und wir klären, wer die Nase vorn hat: Tarantino oder Til Schweiger.
Mit welcher Idee habt ihr angefangen, Filme in Jena zu zeigen?
Holger Fröbe: In den 90ern ging es mehr darum, den internationalen Film zu etablieren. Es gab einen großen Nachholbedarf. Während man damals vom Unterangebot kam, kommt man heute vom Überangebot unter harter Konkurrenz.
Kai Ostermann: In den Anfangszeiten meiner Vorführerphase war es im Schillerhof so voll, dass man die Gäste über den Notausgang rausleiten musste. Auch die Filmarena ist gut gefüllt gewesen, auch mit abseitigeren Filmen wie Das Kettensägenmassaker.
Holger Fröbe: (lacht) Nee, da war die Bude nicht voll. Aber bei anderen Experimenten, ja durchaus.
Kai Ostermann: Die Leute waren bereiter, sich überraschen zu lassen.
Die Arena und Filme – war das Liebe auf den ersten Blick?
Holger Fröbe: Wir kamen 1993 dazu, also im zweiten Jahr. Im ersten Jahr gab es auch schon Filmvorführungen. Das war aus einem alten VW-Bus heraus auf der Rasenmühleninsel. Noch zu DDR-Zeiten gab es eine kleine Reihe mit anspruchsvollem Kino, die hat Stefan Seifert moderiert. Richtige Kinokultur im wahrsten Sinne.
Aus diesem Projekt heraus ist unser Verein entstanden.
Spiritus Rector waren auch die beiden Kulturamtsleiter, Norbert Reif und Klaus Hattenbach. Letzterer war auch einer der ersten Vorsitzenden. Ein toller Typ und Superchaot. Er hat gesagt: ‘Hier muss mehr hin, hier muss Kunst passieren!‘
Im ersten Jahr wurde auf dem Vorplatz recht verschämt ein kleiner Aufbau gemacht mit vier oder fünf Bierbänken. Da lief auch sowas wie Bierkampf oder der genannte Film Das Kettensägenmassaker. Dann sind wir für einige Jahre hinter das Theater gezogen. Als Pulp Fiction lief, stand ich auf dem Dach und habe den Grasgeruch geschnuppert, die haben gekifft wie die Irren. Norbert Reif hat uns nach ein paar Jahren gesagt: ‘Ihr müsst nach vorn, das muss größer werden.‘ Ich war da das zweite Jahr in der vollen Verantwortung und das war sehr speziell.
Kai Ostermann: War das das Jahr, wo die TK35-Maschine gestreikt hat und ihr die Sicherung mit dem Kaugummipapier überbrückt habt?
Holger Fröbe: Genau. Ich bin eher so der Sicherheitstyp und war nervös vor dem ersten Abend vor dem Haus. Der erste Film war Jenseits der Stille, ein deutscher Beitrag mit Oscar-Nominierung. Und plötzlich standen da fast 2000 Leute vor der Tür. Wir waren überhaupt nicht drauf vorbereitet. Ich habe noch spontan die ersten Leute in der Schlange als Hilfs-Einlasskräfte rekrutiert. Es fing also sowieso schon spät an. Das Licht ging aus, der Vorspann lief und – zack – war alles dunkel. Ein Alptraum! Im Publikum saß zufällig Steffen Laute, ein Techniker vom Theaterhaus. Der hat sich das angeschaut und eine Leitung mit einem Stück Alufolie überbrückt. Dann lief der Film und es war ein schöner Abend. Hinterher gab es eine Extrarunde Sekt.
Kai Ostermann: Was früher das Alupapier war, ist heute die WLAN-Verbindung. Wenn mit unserem Gerät aus Leipzig was nicht stimmt, schaltet sich der Chef per Videoanruf dazu und schaut sich den Code an.
Wie werden die Filme eigentlich ausgewählt?
Kai Ostermann: Zu Holgers Zeit wurde das vom Vorsitz des Vereins ausgesucht. Als ich dann die Leitung übernahm, kam ich auf die Idee, eine Programmgruppe zusammenzustellen, bestehend aus Holger und Stefan, die für Klassiker und Filmkunst zuständig waren, Daniel Krischker vom Schillerhof und Mario Pfeiffer. Der war unser Kassenwart und hatte ein gutes Auge für Filmstatistiken und Verkaufszahlen. Von ihm kamen auch mal abwegigere Ideen wie das Fußballspiel. Eine Sache habe ich mir damals gewünscht, nämlich, dass auch Blockbuster mit ins Programm kommen. Keinohrhasen, Berlin Calling, eben große Produktionen, die gut laufen. Und es möglich machen, einige Arthouse-Perlen zu kompensieren.
Holger Fröbe: Wir haben uns dann aber irgendwann totgelaufen. Die Ideen, die wir hatten, waren umgesetzt. Und wir machen lieber Schluss, bevor man uns aus dem Saal trägt.
Kai Ostermann: Jetzt sind die Programmkuratoren Christian Pfeil und Michael Friedrich vom Schillerhof und Kino am Markt. Die beiden sind richtig gut drin in der Kinolandschaft und ich äußere dann manchmal ein paar Wünsche. Wir haben uns darauf geeinigt, ein gutes Sommerkino zu machen. Im Vordergrund steht die gute Unterhaltung, weniger die Auseinandersetzung mit Kunst- und Autorenfilmen. Und dann passen wir es auf bestimmte Zielgruppen an.
Holger Fröbe: Es wird kaum jemanden geben, der jeden Tag in die Filmarena geht. Ein bis zwei Mal im Sommer, dann freuen wir uns. Also sollten ein bis zwei Filme für die verschiedenen Zielgruppen dabei sein.
Das Kino steckt in einer der größten Krise seiner Geschichte. Schon vor der Pandemie sind die Zahlen überall gesunken, weil die Leute lieber zu Hause streamen. Schauen wir uns irgendwann das Staffelfinale von Stranger Things in der Arena an?
Kai Ostermann: Die Tendenz erkenne ich auch. Im Moment sind wir noch sehr gut aufgestellt, der Schillerhof ist uns eine große Stütze, was gute Filme und die Verleihrechte angeht. Scorsese hat mal gesagt, dass dieses unersetzliche Gefühl einer Gemeinschaft im Kinosaal die Menschen immer faszinieren wird und niemals endet. Wer die Stimmung bei der Filmarena kennt, wird dem zustimmen.
Holger Fröbe: Herr Kieft, der erste Betreiber vom Cinestar, hat mal gesagt: Wo ein Arthouse-Kino funktioniert, funktioniert auch ein Mainstream-Kino. Der Feind ist nicht das große oder das kleine Kino, sondern die Kiste mit den vier Ecken. Das sagte er 1997.
Kino, das stimmt sicherlich, hat ein Problem mit der Einmaligkeit, ein Konzert als Liveerlebnis nicht. Deswegen muss auch Kino durch die Atmosphäre besonders sein. Wer einfach nur auf den Knopf drückt, geht den Bach runter. Da gab es im Lauf der Jahre immer wieder erfolgreiche Geschichten.
Einmal haben wir das Fußballspiel von 1981 gezeigt. Das gab es einmal und dann nie wieder. Die Kurzfilmnacht, immer wieder ein Kracher. Oder die Gundermann-Tour mit Axel Prahl. Es muss manchmal hinausgehen über das reine Projizieren. Ein weiterer großer Kampf ist die späte Uhrzeit. Open Air Kino geht erst, wenn es langsam dunkel wird. Jetzt klinge ich ein wenig wie ‚Opa erzählt vom Krieg‘. Aber moderne Blockbuster gehen ja oft an die 160 Minuten ran.
Kai Ostermann: Da ist auch die Frage, was mutet man der Anwohnerschaft zu? Ein kleines Geheimnis: Wir haben die Angewohnheit, nach einer halben Stunde, wenn die Leute sich an den Ton gewöhnt haben, ihn leicht runterzudrehen. Bisher hat uns noch niemand drauf angesprochen. Und dann das Wetter natürlich! Im Film, der zum 20-jährigen Jubiläum entstanden ist, sieht man alle Facetten der Arena bei herrlichem Sonnenschein. Unser Drehtag war während Gegen die Wand. Und es schiffte für 700 unerschrockene Leute. Ein kleiner grauer Block schnitt sich Müllsäcke auf.
Sind Sie bereit für eine Schnellfragerunde?
Beide: Klar.
Zu Hause oder Kino?
Beide: Kino.
Cinestar oder Schillerhof?
Kai Ostermann: Schillerhof.
Holger Fröbe: Beides.
Kino am Markt oder Schillerhof?
Beide: Beides.
3D oder lieber gar nicht?
Kai Ostermann: Lieber gar nicht.
Holger Fröbe: Es gibt ein paar wenige, die gut sind. Hugo Cabret, damit konnte ich was anfangen. Das meiste ist Schrott.
Bier oder Wein?
Kai Ostermann: Beides.
Holger Fröbe: Wein.
Popcorn oder Nachos?
Kai Ostermann: Nachos.
Holger Fröbe: Popcorn.
Knackige 80 Minuten oder 3 Stunden Epos?
Holger Fröbe: Das haben wir ja schon beantwortet (beide lachen).
Eisenstein oder Lang?
Kai Ostermann: Fritz Lang.
Holger Fröbe: Eisenstein.
Hitchcock oder Kubrick?
Kai Ostermann: Kubrick.
Holger Fröbe: Hitchcock.
Coppola oder Scorsese?
Beide: Scorsese
Schweiger oder Tarantino?
(beide lachen)
Holger Fröbe: Schwierige Frage.
Kai Ostermann: Selber schauen oder fürs Publikum?
Holger Fröbe: Ich sag mal Tarantino, mein Zögern muss ich nachher aber nochmal erklären.
Kai Ostermann: Tarantino.
Lieber im Original oder synchronisiert?
Kai Ostermann: Synchro.
Holger Fröbe: Original.
Berlinale oder Cannes?
Kai Ostermann: Ach, allein fürs Wetter Cannes.
Holger Fröbe: Berlinale.
Cannes bzw. Berlinale oder Oscars?
Kai Ostermann: Cannes.
Holger Fröbe: Ach, einmal zu den Oscars. Das wär schon was!
Tränen lachen oder Tränen weinen?
Holger Fröbe: Nach den Harry Rowohlt Kriterien für einen guten Film, beides. Hauptsache 5 Mal.
Kai Ostermann: Tränen lachen.
Holger Fröbe: Jetzt drehe ich den Spieß mal um! Was denken Sie, was bei einer Kino Open-Air-Veranstaltung die größte Herausforderung ist?
Äh --- die Projektion?
Holger Fröbe: Die Leinwand! Die ist wie ein großes Segel. Wenn der Wind kommt … (lacht). Aber nochmal zu Til Schweiger. Es ist gar nicht meine Art von Kino. Im positiven Sinne ist er aber filmverrückt, das kann man ihm nicht absprechen. Er legt los und macht. Da geht auch einiges mörderisch in die Hose. Aber faszinierend. In diesem Punkt sehe ich ihn und Tarantino nicht so weit auseinander.
Wie blicken Sie auf die kommende Zeit?
Kai Ostermann: Meine Vorstandstätigkeit wird zu Ende gehen. Nach 14 Jahren werde ich mich ein Stück weit zurücknehmen und neuen Leuten den Platz lassen. Einige unserer Projekte liegen momentan in der Schublade, weil uns die Leute fehlen. Es rücken allerdings junge Leute nach, die große Lust haben. Einige Mitglieder aus unserem Verein sind nicht nur bei uns engagiert, sondern bei der Freien Bühne oder dem cellu l’art Kurzfilmfestival, da ergeben sich immer wieder Schnittstellen. Ich hoffe, dass mit Blick in Richtung Universität und Wirtschaft noch mehr rund um den Film entsteht. Als Drehort wird Jena im Moment immer beliebter, ich bin gespannt, was daraus wachsen kann.
Holger Fröbe: Jena und Filmkultur hat spannende Geschichten zu bieten. In der Eröffnungswoche des Schillerhofs kamen 2000 Leute für Alfons Zitterbacke. Ein Film, der 1965 in Jena gedreht wurde, noch bevor es den Turm gab. Verschiedene Generationen kamen da zusammen, viele Omas und Opas haben als Statisten mitgespielt und brachten jetzt ihre Enkel mit. Wenn ein Film es schafft, verschiedene Generation miteinander ins Gespräch zu bringen, das ist eine tolle Erfahrung. Deshalb ist auch das Gemeinschaftserlebnis so wichtig. Und ich liebe den Film, er ist nur 70 Minuten lang.
Vielen Dank für das schöne Gespräch!
Hinter diesem spannenden Interview steckt Friedrich Hermann:
30 Jahre kulturarena – was für ein schöner Anlass, um all die Menschen kennenzulernen, die diesem herausragenden Festival über die Jahre ihren Stempel aufgedrückt haben! Als Stadtschreiber mache ich genau das – zusammen mit Florian Ernst. Lasst gern Feedback da, hier in den Kommentaren, auf meiner Facebookseite oder bei Instagram. Ich freu mich sehr auf eure Nachrichten!