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Interview mit Volha Hapeyeva – JenaKultur-Blog
Halbporträt einer Frau mit schulterlangem Haar, die eine zweiflügelige, mintfarbene Tür öffnet und nach draußen schaut

Im Sinne von Clara und Eduard Rosenthal vergibt JenaKultur seit 2010 Stipendien an nationale und internationale Autor:innen im Bereich Literatur & Stadtschreibung – bislang wurden 19 Stipendien vergeben. Für den Vergabeprozess im Zuge der öffentlichen Ausschreibung 2023/24 konnten 52 zulässige Bewerbungen, vorrangig aus Deutschland und Österreich, auch aus Belarus, der Ukraine, Italien, dem Vereinigten Königreich und Ungarn, berücksichtigt werden. Die Vor- sowie finale Auswahl wurde von zwei Fachgremien getroffen.

Die Vergabe fiel einstimmig auf die Lyrikerin, Autorin, Übersetzerin und promovierte Linguistin Volha Hapeyeva. Die Autorin stammt aus Minsk (Belarus) und lebt im deutschen Exil. Für ihr Werk erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den renommierten „Wortmeldungen“ – Literaturpreis 2022.

Eine Frau auf einer Bühne freut sich über einen Preis, den sie nach oben hält. die drei umstehenden Menschen applaudieren ihr
©Christof Jakob

Volha Hapeyeva gelingt es (sichtbar) leicht, verschiedene Seiten mit Tiefgang in ihren Werken zu vereinen. Leser:innen können sich berühren lassen von der ernsthaften Wissenschaftlerin, der es in der Lyrik gelingt, eine Sprache mit poetischer Kraft zu finden, von der Romanautorin, die gleichwohl intellektuell unterfüttert zum unbedingten Weiterlesen einlädt und von der Nomadin, die sich an Orten heimisch fühlt, an denen sie Luft zum Atmen findet.

Zeit für ein paar Fragen an die Clara-und-Eduard-Rosenthal-Stipendiation von Ivette Löwer, Produktionsleitung Villa Rosenthal Jena …

Lächelnde Frau mit kurzem Haar steht mit Mikrofon vor einem Tisch, auf dem Bücher gestapelt sind
©privat

Liebe Volha, Du schreibst Gedichte, Prosa und Dramen. Du bist Kinderbuchautorin, Übersetzerin und Wissenschaftlerin, auch Künstlerin. Deine Werke wurden in mehr als 15 Sprachen übertragen. Wie und wann bist Du zum „Schreiben“ gekommen? Was bedeutet das „Schreiben“ für Dich?

Ich war schon als Kind von Wörtern und Sprachen fasziniert und habe mit meiner Mutter gern verschiedene Wortspiele gespielt. Mein erstes Buch, das ich für sie gemacht habe, als ich etwa acht Jahre alt war, war ein Buch mit gereimten Gedichten über einen Teddybären. Dann hatte ich in der Schule eine wunderbare Lehrerin für belarussische Sprache und Literatur, die einen Poesie-Club organisierte, in dem wir die Grundlagen des Gedichteschreibens lernten. Und dann schloss ich mich dem Literaturkreis für junge Autor:innen im Schriftsteller:innenverband an. 1999 erfolgte meine erste Veröffentlichung in einer Literaturzeitschrift und 2003 erschien mein erstes Buch.

Als Kind habe ich viel Zeit allein verbracht und gerne mit der Natur gesprochen und nachgedacht. Ich denke, das Schreiben ist für mich ein Mittel, um mit der Welt zu kommunizieren und sie zu verstehen.

Du bist in Minsk aufgewachsen, bist hier zur Schule gegangen, hast hier studiert und einen Doktorgrad erworben. Zuletzt warst Du Dozentin an der Staatlichen Linguistischen Universität Minsk. Du hast bislang 14 Bücher auf Belarussisch geschrieben, Du bist Mitglied des Belarussischen PEN-Centers und des Belarussischen Schriftsteller:innenverbandes. Was hat Dich und das Schreiben an diesem Ort besonders geprägt? Mit welchen Themen hast Du Dich intensiv auseinandergesetzt und was bewegt Dich in diesem Kontext?

Ich habe in Belarus 38 Jahre gelebt und war Zeugin von drei Epochen, sozusagen: Sowjetische Zeit, Unabhängigkeit mit der Belarussischen Renaissance und dann Diktatur. Es war nicht einfach, aber die Zeit dort hat mir viel gegeben. Ich habe viel gelernt, bin stark geworden und ich bin dankbar. Die Themen, die mir damals wichtig waren, bleiben so heute auch – Sprache, Körper, Einsamkeit, Frauen und Gender Equality. Apropos, in meinem ersten Roman „Camel Travel“ schreibe ich über die Kindheit im sowjetischen Belarus. Viele deutsche Leser:innen, die den Roman gelesen haben, sagten, dass sie auch viele Parallelen zu ihrem Leben in der DDR ziehen konnten.

Seit 2019 verwendest Du auch die Deutsche Sprache als Mittel für deine Texte. Du warst Stadtschreiberin in Graz / Österreich (2019/20), wurdest danach in das Writers-in-Exil-Programm des PEN-Zentrums Deutschland aufgenommen und hast in München gelebt (2021/22). Zuletzt warst Du Fellow des DAAD in Berlin (2023). Was hat Dich in den letzten fünf Jahren beschäftigt?

Mein Leben hat sich völlig verändert und wie in jeder Situation gibt es Vor- und Nachteile. Ich bin sehr traurig über die Situation in Belarus. Ich musste ganz neu anfangen und ich bin nicht mehr so jung. Hier in Deutschland ist es fast unmöglich, Arbeit für eine Geisteswissenschaftlerin zu finden. Deutsch ist nach Russisch und Englisch meine dritte fremde Sprache und da nicht so viele Menschen Belarussisch sprechen und es nicht genügend qualifizierte Übersetzer:innen gibt, musste ich auf Deutsch umsteigen. Für eine Schriftstellerin bedeutet das eine Menge. Es gibt viele Herausforderungen, nicht nur emotionale und existenzielle, sondern auch im Alltag und mit der Bürokratie. In den meisten Gesellschaften sind Künstler:innen die am wenigsten geschützte Gruppe. Hier muss auf staatlicher Ebene etwas geändert werden, um Visa und andere Dinge für Künstler:innen auf der ganzen Welt zu erleichtern.

Mit der neuen Lebenssituation kamen auch neue Themen, die vielleicht schon früher in mir „saßen“, aber auf die richtige Zeit gewartet haben. Ich denke und schreibe heute viel über Heimat und Nichtzugehörigkeit, über Nation und Staat, über Empathie und kleine Wesen.

Eine Frau mit kürzerem blonden Haar und einer royalblauen Blus sitzt an einem Tisch, auf dem ein Wasserglas, Notizen, ein Buch und ein Mikrofon liegen
©Alexander Paul Englert

Seit Ende des vergangenen Jahres ist Jena nun deine siebte Adresse im Rahmen eines Stipendiums. Wie gefallen Dir die Stadt und ihre Umgebung?

Interessanterweise sehe ich in Jena fast alle Städte, in denen ich bisher gewohnt habe. Ein bisschen von Minsk, von Krems an der Donau, von München, von Berlin. Ich denke mein Lieblingsort ist der Balkon in der Villa Rosenthal. Das ist mein erster Balkon seit 2020 und ich habe ihn sehr vermisst. Ich gehe nicht viel aus. Ich mag das Schwimmbad, weil ich gern schwimme und die ThULB ist ein Paradies für mich, obwohl das Wort „Paradies“ in Jena keine Überraschung ist. Als ich im November kam, war das Wetter nicht wirklich freundlich für Ausflüge, aber ich hoffe, jetzt mehr Zeit draußen verbringen zu können und mehr von der Umgebung sehen.

Du hast Dich mit gleich drei Projekten in deiner Bewerbung für das Stipendium in Jena vorgestellt, wie konntest Du diese Projekte in den letzten Monaten weiter entwickeln?

Sehr gut. Ich habe schon zwei Kapitel meines neuen Romans geschrieben und einige Essays beendet, auch Gedichte – lange und kurze. Ich habe eine Ausstellung für Graz vorbereitet und denke jetzt schon an die Ausstellung hier in der Villa für den Herbst.

Du bist im Rahmen deiner vielen Interessengebiete auch viel unterwegs. Wie sehen deine Pläne für die nächste Zukunft aus? Wo und wann bist Du zu sehen, zu treffen und zu hören?

Eine Frau mit kürzerem blonden Haar, die vor einem schwarzen Hintergrund an einem Mikrofon sitzt, liest aus dem Buch „Die Verteidigung der Poesie in Zeiten dauernden Exils”
©MarcDoradzillo

Nähere Informationen gibt es auf meiner Webseite oder auf der Webseite des Droschl Verlags. Hier ist erst im Februar 2024 mein letzter Roman „Samota“ erschienen. Auf Deutschlandfunk Kultur können Sie mich hierzu im Interview hören 🙂

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