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Ein Zukunftskonzept für die Jenaer Philharmonie – JenaKultur-Blog
Allgemein Jenaer Philharmonie Kulturpolitik

Ein Zukunftskonzept für die Jenaer Philharmonie

Abschlusskonzert des Reformationsjahres 2017

Die Jenaer Philharmonie ist ein Flaggschiff für Stadt und Gesellschaft Jenas. Ein Flaggschiff allerdings, das – obwohl es gleichzeitig ständig weiter auf Sicht fahren muss – gründliche Wartung und Pflege, mutige Investitionen und Weitsicht braucht, bevor es wirklich wieder im Wind wird segeln können.

Zusammen mit dem Organisationsberatungsinstitut Thüringen (ORBIT) erarbeiteten die Philharmonie und JenaKultur ein Papier, welches dem Stadtrat Jena nun zur Beschlussfassung vorgelegt wird. In diesem geht es im Kern darum, einen Weg der Veränderung und Öffnung des Orchesters aufzuzeigen, dessen Erfolg nicht alleine in der Steigerung von Erlösen besteht, sondern auch in einer davon unabhängigen Steigerung der Besucherzahlen sowie in qualitativen Zielen: Das Erreichen neuer Zielgruppen innerhalb der Stadtgesellschaft einerseits und die Etablierung als exzellentes Aushängeschild Jenas und Thüringens andererseits.

Die seit dem Amtsantritt von Generalmusikdirektor Simon Gaudenz eingeführten programmatischen und Marketing-Änderungen (Änderung der Abo-Struktur, Einführung neuer Reihen, neues Erscheinungsbild etc.) zeigen erste Erfolge – nachhaltige Zuschauersteigerungen können aber nicht kurzfristig erreicht werden. Vielmehr lohnt es sich, in dieser Hinsicht, den sprichwörtlichen „langen Atem“ zu haben und durch jetzige, antizyklische Anstrengungen einen dauerhaften Imagewandel der Jenaer Philharmonie (und damit auch Steigerungen von Zuschauerzahlen und Erlösen) herbeizuführen. Dafür lohnt es sich, in die Zukunft der Jenaer Philharmonie zu investieren!

Die Jenaer Philharmonie im Volkshaus (2018)
Die Jenaer Philharmonie 2018 | © JenaKultur, C. Worsch

Das vorliegende Zukunftspapier geht davon aus, dass eine Erhöhung der Zuwendungen seitens Stadt und Land (derzeit 6,3 Millionen Euro) in einer gesamten Höhe von rund 500.000 Euro p.a. im Rahmen der nächsten Zuschussvereinbarungsperiode nötig sein werden, um die oben genannten Ziele zu erreichen. Im Vergleich mit Orchestern anderer Universitäts- und Technologiestädte wie Oldenburg (Jahresetat 9,2 Millionen Euro), Darmstadt (13 Millionen Euro) oder Heidelberg (9,1 Millionen Euro) nähmen sich die beschriebenen Steigerungen noch immer bescheiden aus.

Selbstverständlich will und muss die Jenaer Philharmonie sich im Laufe und nach Ablauf der beschriebenen Entwicklungen an den dargestellten Zielen messen lassen. Neben der qualitativen künstlerischen Weiterentwicklung dürfen dabei nie die (potentiellen) Nutzer aus dem Visier geraten – seien es die Menschen/Zuhörer vor Ort in Jena oder das Publikum bzw. die Veranstalter von Gastspielen. In diesem Sinne wird eine Evaluation der aufgeführten Maßnahmen im Sinne der jeweiligen und insgesamten Zielerreichung per 31.12.2023, mithin also rechtzeitig vor Neu-Verhandlung sowohl der Zuschussvereinbarung für die Jahre 2025 bis 2028 zwischen JenaKultur und der Stadt Jena, als auch des dann ebenfalls neu anstehenden Orchestervertrags mit dem Freistaat Thüringen, vorgeschlagen.

Unsere Philharmonie?! – Potential & Polarisierung

Unsere Philharmonie. Seit über 80 Jahren spielt die Jenaer Philharmonie. In den zurückliegenden zehn Spielzeiten begeisterte sie jährlich durchschnittlich rund 53.000 Zuhörer; sie ist Thüringens größter rein philharmonischer Klangkörper, das einzige deutsche Mitglied des europäischen Orchesternetzwerks ONE, eines von wenigen geförderten Orchestern im Rahmen des BKM-Programms „Exzellente Orchesterlandschaft“; das einzige deutschsprachige Orchester im Leistungsverbund eines städtischen Tochterunternehmens – dem Eigenbetrieb JenaKultur – gleichzeitig zuständig für Kulturelle Bildung und Tourismus. Wenn auf dem Marktplatz, im Stadtrat oder in der lokalen Presse die Rede von der Jenaer Philharmonie ist, dann kommt es vor, dass von einem Aushängeschild und Flaggschiff der Jenaer Kultur die Rede ist, von einer Institution, die nicht wegzudenken sei aus Jena – genauso wenig wie der JenTower, der Hanfried oder der FCC. Das sagen die einen: Unsere Philharmonie.

Volkshaus Jena
Das Volkshaus – Heimstätte der Jenaer Philharmonie | © JenaKultur, A. Gräf

Andere sind ganz und gar nicht mit dieser Formulierung einverstanden, fühlen sich von diesem „Wir“ nicht gemeint. Immer wieder wird gefordert, dass sich die größte Kulturinstitution der Stadt in Richtung neuer Zielgruppen, durchlässiger Formen der Kooperation und Vermittlung öffnen möge. Innerhalb des Orchesters, der drei Chöre und der Verwaltung sind Stimmen vernehmbar, die ein besser strukturiertes Management anmahnen: einerseits solche, die das Orchester aus dem städtischen Eigenbetrieb JenaKultur ausgliedern wollen; andererseits solche, die eine vorurteilsfreie und synergetische Zusammenarbeit innerhalb von JenaKultur einfordern. Kulturpolitisch wird bereits seit den ersten Monaten nach der Wiedervereinigung eine Neusortierung der Orchester- und Theaterlandschaft des Freistaats diskutiert; auf Ebene der Kommunalpolitik leiten sich alleine aus den letzten beiden Kulturkonzeptionen eine Vielzahl von offenen Fragen in Bezug auf die Jenaer Philharmonie ab. Die Polarisierung war zuletzt so stark, dass Stadtrat und städtischer Kulturausschuss in der Fortschreibung der Zuschussvereinbarung der Jahre 2017 bis 2020 für JenaKultur fest verankerten, dass die Werkleitung des Eigenbetriebs bis spätestens Ende 2019 eine Zukunftskonzeption für die Jenaer Philharmonie vorlegen soll.

Einige Veränderungsprozesse laufen längst, einige weitere Erkenntnisse sind auf dem Weg, einige kommen im Rahmen dieses Papiers hinzu: Das vorliegende Papier stellt den ersten umfassenden Versuch dar, inmitten bereits abgelaufener und laufender Veränderungsprozesse eine Standortbestimmung der Gesamtsituation der Jenaer Philharmonie vorzunehmen, diese mit den Erwartungshaltungen von Orchester, Chören, künstlerischer Leitung und Verwaltung, aber auch denen des Publikums, der Jenaer Bevölkerung, der politischen Geldgeber*innen abzugleichen und dabei auf die Synthese einer neuen Zielrichtung auszurichten. Nicht zuletzt dient die vorliegende Zukunftskonzeption einer Verständigung der genannten Akteure untereinander: Es gilt, Anspruch und Wirklichkeit in ein Gleichgewicht zu bringen, die unterschiedlichen Grade an Tempo und Bereitschaft zur Veränderung miteinander abzugleichen und auf diesem Weg eine gemeinsame Verbindlichkeit in Zielen und daraus abzuleitenden Maßnahmen zu erreichen.

Knabenchor der Jenaer Philharmonie, Gruppenaufnahme
Knabenchor der Jenaer Philharmonie | © Jenaer Philharmonie

Ausgangssituation – Die größte Kultureinrichtung Jenas zwischen Baum und Borke

Jeder gelingende Strukturprozess fragt zuerst nach einer inhaltlichen Zielstellung, nach einem überzeugenden Konzept. Auf den ersten Blick scheint die Situation der Jenaer Philharmonie von einem Ziel(gruppen)konflikt, einem Zustand „zwischen Baum und Borke“ geprägt: zwischen Vergangenheit und Zukunft, Fremdbeschreibung des Orchesters (traditionell, konservativ) und Selbstbeschreibung der Stadtgesellschaft (innovativ, weltoffen); zwischen Hochkultur und breiter Öffnung, exzellenter Qualität und vernetzender Vermittlung; zwischen Eigenständigkeit und Fremdbestimmtheit, Gestaltung und Verwaltung; zwischen hohem Niveau „auf dem Platz/auf der Bühne“ und mangelnder Struktur „neben dem Platz/hinter der Bühne“; zwischen künstlerisch-repräsentativem Anspruch und organisatorischer, finanzieller, institutioneller Wirklichkeit.

Ein zweiter Blick auf die aktuellen Rahmenbedingungen vermittelt allerdings einen gänzlich anderen Eindruck. Neben den inhaltlichen Herausforderungen und Zielkonflikten steht die Jenaer Philharmonie auf einem stabilen Fundament mit guten Entwicklungsperspektiven. Ihre Rahmenverträge reichen weit: Bis 2024 ist der grobe Rahmen der Finanzierung durch Stadt und Land gedeckt; bis 2024 läuft der 2018 abgeschlossene Haustarifvertrag, bis 2021 Kooperationsverträge mit der Hochschule für Musik Weimar und dem Theater Gera-Altenburg/ der Dualen Orchesterakademie Thüringen, auf Ebene der Drittmittel seitens des Bundes (BKM/Exzellenzförderung) und der EU (Creative Europe/ONE) kündigen sich ab 2020 respektive 2021 neue Förderperioden an. Nach einer Sanierung im Bestand erstrahlt die traditionelle Hauptspielstätte in neuem Glanz; die Planungen für ein Verbindungsgebäude inkl. neuem Konzert- und Probenraum zum nebenan neu gegründeten Deutschen Optischen Museum laufen auf Hochtouren. Last, but not least: Mit Simon Gaudenz trat zu Beginn der Spielzeit 2018/19 ein sprühender, kommunikationsfreudiger und junger GMD sein Amt an und setzte mit neuem Programm und Marketing-Auftritt deutliche Zeichen: Überregionale Berichterstattung, Gastspieleinladungen und die Auslastungszahlen der ersten Monate künden von einem inhaltlichen Neuanfang.

GMD Simon Gaudenz beim Auktaktkonzert der Jenaer Philharmonie 2017
Generalmusikdirektor Simon Gaudenz | © JenaKultur, C. Worsch

Es ist vor allem dieser künstlerische Neuanfang, der dabei helfen sollte, den Zustand zwischen Baum und Borke zu beenden: Der Jenaer Philharmonie bietet sich die einmalige Chance, inmitten einer Phase der institutionellen Stabilität einen inhaltlichen und politischen Zielkonflikt auf antizyklische Art und Weise aufzulösen. Zudem lässt sich auf der Grundlage verschiedener bereits vorliegender Ansätze der letzten Jahre aufbauen: Zu nennen wären hier insbesondere die Strukturuntersuchung der Jenaer Philharmonie durch die Münchner Beratungsagentur actori aus dem Jahre 2014 sowie der konzeptuelle Change-Prozess auf den Ebenen Programm, Marketing, Interne Kommunikation sowie Personal- und Organisationsentwicklung im Rahmen der Spielzeiten 2017/18 und 2018/19. Der perfekte Zeitpunkt für ein konzeptuelles und strukturelles Reset scheint gekommen.

Es ist an der Zeit, den Zustand der Jenaer Philharmonie zwischen Baum und Borke zu beenden und eine beispielhafte künstlerische Institution zu initiieren. Fortissimo – Gehen wir es an!


Sind Sie ein regelmäßiger Gast der Jenaer Philharmonie? Wir freuen uns auf Ihr Feedback!


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