Eduard Rosenthal

Nachruf auf Professor Eduard Rosenthal von Wilhelm Rein, in Volkshochschulblätter, herausgegeben von der Volkshochschule Thüringen, 8. Jahrgang, Nr. 5 vom September 1926

Mit Professor Rosenthal, dem langjährigen Mitglied des Vorstands der Volkshochschule Jena, ist ein warmer Freund der Volksbildung geschieden, der jederzeit bereit war, der guten Sache mit Rat und Tat zu dienen. Als Leiter der Jenaer Lesehalle lag ihm das Gedeihen der Volkshochschule besonders nahe. Darum war er bemüht, die Fäden zwischen diesen Instituten eng zu knüpfen und die Verbindung zwischen ihnen rege zu halten. […] Als die Volkshochschule ins Leben trat mit Hilfe der Carl-Zeiß-Stiftung, war es darum wie eine Selbstverständlichkeit, daß er bei der Organisation und der weiteren Entfaltung eine hervorragende Rolle spielte. Das soziale Empfinden war so stark in ihm ausgeprägt, daß ihm die gelehrte Arbeit am Schreibtisch nicht genügen konnte, die ihm als Dozenten der Universität natürlich in erster Linie am Herzen lag und den größten Teil seiner Wirksamkeit beanspruchte. Aber seine unermüdliche Arbeitskraft, die unerschöpflich schien, ließ ihn nicht ruhen und drängte ihn auch zur Mitarbeit an den Problemen, welche die Volkshochschulbewegung unserem Volke stellt. […] Vor allem lag ihm die Aufgabe der staatsbürgerlichen Erziehung am Herzen, an der ja auch die Volkshochschule wesentlichen Anteil nimmt. Die engen Beziehungen zwischen Staatsverfassung und Volksbildung standen ihm klar vor der Seele. Als Urheber des Entwurfs der Verfassung für das Thüringer Land wußte er sehr wohl, daß die Artikel der Verfassung erst dann lebendig werden können, wenn charaktervolle Menschen, welche in sich intellektuelle Bildung mit wahrer Herzens-und Willensbildung vereinigen, sich nach der Verfassung sich richten und sie damit in die Wirklichkeit umsetzen. Fehlen solche Menschen, dann ist die beste Verfassung eben nur ein Stück Papier. Solche Gedanken mussten sich ihm auf Grund der Erfahrungen, die er als Mitglied des Weimarischen Landtags machen mußte, geradezu aufdrängen. Wir wissen auch, daß er nicht verärgert und enttäuscht bei der bloßen Verneinung stehen blieb, sondern seine Erfahrungen für die Umgestaltung der Thüringer Verfassung nutzbar machen wollte. Sein frühzeitiger Tod hat ihm die Arbeit aus der Hand genommen, die er seiner Zeit mit seinem Herzblut durchgeführt hatte. Es ist keine Frage, dass die vielfachen Ärger und Sorgen, die ihm das politische Leben zutrugen, sehr stark an seiner Lebenskraft zehrten, da er mit ganzem Herzen und voller Hingabe an dem Schicksal unseres Vaterlandes hing. Von der Arbeit der Volkshochschule erwartete er vor allem parteipolitische Entspannung im Sinne der Volksversöhnung. Neutralität der Volkshochschule bedeutete ihm nicht Loslösung von der Zugehörigkeit zu einer Partei, wohl aber eine gewisse Erhebung über die Frage des rein Parteimäßigen auf eine höhere Warte, von der aus man gegnerische Ansichten und Überzeugungen zu verstehen und zu würdigen lernt. Dieses Lernen soll die Volkshochschule anstreben! Wer ihn in seinem politischen Wirken gekannt hat, weiß, daß er selbst das Vorbild dieses gerechten und freien Menschentums war, zu dem seiner Meinung nach die Volkshochschule erziehen sollte. Somit übernimmt sie eine wichtige Aufgabe inmitten der Zerrissenheit unseres Volkes, die überwunden werden muß, wenn ein neuer Aufstieg erwartet wird. Der Verstorbene sah sehr wohl ein, wie der Arbeit der Volkshochschule von rechts und von links Schwierigkeiten in den Weg gewälzt werden, weil die Befangenheit heißblütiger Parteimenschen jedes Bestreben, einen neutralen Boden zu finden, ablehnt, auf dem die Gegensätze zu freier, leidenschaftsloser, wissenschaftlicher Aussprache gelangen können. Im Sinne des Dahingeschiedenen hatte die Volkshochschule sich diese Aufgabe zu stellen. Er trat deshalb immer dafür ein, daß Lehrer aus den entgegengesetzten politischen Parteien an der Volkshochschule wirkten, natürlich unter der Voraussetzung, daß sie als Lehrer ihr parteipolitisches Programm sorgfältig in der Tasche hielten, ihre Zuhörer nur dazu anhielten, Erfahrungen aus Vergangenheit und Gegenwart unbefangen zu prüfen, zu selbständigem Denken anzuleiten und den Geist der Versöhnung zu verbreiten im Gegensatz zu den Geistern, die sich nicht genug tun können, die Kluft zu verbreitern und zu vertiefen, die unser Volksleben zerreißt. So konnte Eduard Rosenthal in seiner vornehmen Gesinnung, der alles Häßliche zuwider war, im Kreise der Volkshochschule Jenas und Thüringens vorbildlich wirken. Sein Geist lebt in dieser Umgebung fort und sorgt dafür, daß sein Andenken nicht verloren geht. […]

Am 25. Juni 1926 ist Eduard Rosenthal, Professor des deutschen und öffentlichen Rechts, Ehrendoktor der Wirtschaftswissenschaften der Universität Jena, im Alter von 72 Jahren gestorben. Noch eine Woche zuvor hatte er seine gewohnten Vorlesungen gehalten. Eine kurze Krankheit hat ihn uns entrissen. Still und friedlich ist er heimgegangen. Prof. Rosenthal war ein Mann von einzigartiger Wirksamkeit. Unserer Hochschule hat er seit dem Jahr 1880 angehört; zuerst als Privatdozent, sodann als außerordentlicher, später als ordentlicher Professor. Als der damalige Staat Sachsen-Weimar eine neue Landesverfassung erhielt, in der ein ständiger Sitz für einen Deputierten der Universität Jena vorgesehen war, wurde Prof. Rosenthal vom Senat der Universität für diesen ehrenvollen Platz auserwählt. Im Jahre 1913/14 hat er das Rektorat der Universität bekleidet. In seinen Studien war Prof. Rosenthal anfänglich überwiegend Rechtshistoriker. Er hat sich namentlich um die Erforschung des alten deutschen Stadtrechts und der bayrischen Gerichts- und Verwaltungsorganisation verdient gemacht. Später wandte er sich mehr dem geltenden Staats- und Verwaltungsrecht zu. Hier zogen ihn vor allem diejenigen Probleme an, die eine geistige Weiterentwicklung versprachen. Berühmt waren seine Vorlesungen über Sozialpolitik. Hier haben mehr als einmal neben den Studenten Männer mit Spannung zu seinen Füßen gesessen. Auch das jetzt zu einem selbständigen wirtschaftlichen Fach aufgestiegene Arbeitsrecht hat Rosenthal als einer der ersten in seiner Bedeutung erkannt. Sein Lieblingsthema war auf diesem Gebiet der Tarifvertrag, mit dem er sich auch in einer weitblickenden literarischen Studie auseinandergesetzt hat. Innerhalb des engeren Staatsrechts wurden seine Studien und seine Lehrvorträge vor allem von dem Gedanken einer Stärkung der Reichsgewalt bestimmt. Auf allen diesen Gebieten zeichnete sich Prof. Rosenthal durch ein hinreißendes Temperament des Vortrags aus. Auch in den verschiedensten wissenschaftlichen Gesellschaften der Universitätsstadt Jena war er ein überaus anregender Vortragender und Diskussionsredner. Als die Revolution einen Umbau des Staatsrechts erforderlich machte, war Rosenthal einer der ersten, der sich hier in Thüringen für die Schaffung eines Einheitsstates statt der vielen kleinen Staaten einsetzte. Allerdings ist es nicht gelungen, die von Rosenthal erstrebte, großthüringische Lösung der thüringischen Frage herbeizuführen, da die Abtretung nennenswerter Gebietsteile seitens Preußens nicht zu erzielen war. Trotzdem hat sich das neue Land Thüringen als ein lebenskräftiges Gebilde erwiesen. Und dies ist in erster Linie der geschickten, nie ermüdenden Arbeit Rosenthals zu verdanken. Die Verbindung seiner langen Erfahrungen als einer der geachtetsten Parlamentarier des Landes mit seinen vorzüglichen rechtshistorischen und rechtsdogmatischen Kenntnissen kam ihm dabei besonders zustatten. Vor allem ist er ganz mit seinem Herzen bei dieser Arbeit gewesen. Er wird deshalb mit Recht als Vater der thüringischen Verfassung bezeichnet. Schon dieser letzte Punkt zeigt, daß Prof. Rosenthal nicht im Rahmen der engeren Universitätstätigkeit stehen geblieben ist. In der Tat hat er eine weit darüber hinausgehende, an allen Stellen segensreiche Wirksamkeit entfaltet. Vor allem verstand er es, seinen geistvollen Lehrvorträgen über Sozialpolitik eine Achtung gebietende praktisch-soziale Tätigkeit hinzuzugesellen. Er hat als freundschaftlicher Berater dem großen Ernst Abbe jahrelang zur Seite gestanden. Hierbei hat er die vielen Nöte, aber auch die Stärke des Arbeiterstandes voll erkannt. Das ließ ihn bald als den warmherzigen sozialen Helfer, bald als den erfolgreichen Warner in den sozialen Kämpfen hervortreten. Die Grundlinie seines Wesens in diesem Rahmen war besonders schön. Er war immer darauf bedacht, seine Volksgenossen geistig höher zu führen und sie dabei gleichzeitig ihrer bedrückten Lebenslage wie einem einseitig feindseligen Parteistandpunkt zu entreißen. Eine große Zahl beachtenswerter Bildungswerke außerhalb der Universität sind mit seinem Namen auf das engste verknüpft, vor allem die Volkshochschule und die einzig dastehende Lesehalle. Auch dem Kunstverein hat er lange Zeit ein warmes Interesse entgegengebracht, weil er wußte, was hohe Kunst für das Volksleben bedeutet. Die junge thüringische Verwaltungsakademie, deren Lehrvorträge eine gastliche Stätte in unserer Universität finden, ist ebenfalls ohne die schöpferische Mitarbeit Eduard Rosenthals nicht denkbar gewesen. In den Herzen der Studierenden, denen er am meisten zugetan war, wird er fortleben als der gütige, väterlich-freundliche Berater, als der vorwärtsblickende und wegweisende Lehrer des Staatsrechts, als das Musterbild eines auf den höchsten Höhen der Bildung stehenden Mannes und als ein Politiker, der zwar den festen Rahmen einer bestimmten einzelnen Partei nicht entbehren konnte, aber in mustergültiger Weise letzten Endes doch Volk und Vaterland über die Partei zu stellen verstand.