30 Jahre Friedliche Revolution: Ein Rückblick auf 30 Jahre Kultur in Jena – Teil 2 von Dietmar Ebert
In der friedlichen Revolution und in den folgenden Monaten einer „fröhlichen Anarchie“ waren die politisch-ideologischen Schranken im Kulturbereich gefallen. In die „Theaterruine“ begann zunächst durch kleine Gastspiele Leben einzuziehen. So gastierte das Ulmer „Theater in der Westentasche“ mit Ionescos „Die Unterrichtsstunde“. Der Satz: „Die Rosen meiner Großmutter sind so gelb, wie das Gesicht meines Großvaters, der ein Mongole ist“, wurde zum festen Bestandteil meines Zitatenschatzes.
Das Philharmonische Orchester reiste zu Gastspielen nach Erlangen und Tübingen.
Beide Städte verfügen über kein eigenes Orchester, und das dortige Publikum war begeistert vom Klang unseres Orchesters.
Es schien, als ob Vieles, was wir nie zu hoffen gewagt hatten, nun in greifbare Nähe gerückt war. Das sanierungsbedürftige Haus in der Jenergasse 6 wurde kurzzeitig vom KuKuK e. V. bespielt, doch gelang es nicht, im gesamten sanierten Haus, ein sozio-kulturelles Zentrum zu etablieren. Wenn heute im Kellergeschoss und im Garten des sanierten Hauses das Café „Immergrün“ betrieben wird, so ist das jedoch ganz im Sinne der damaligen Initiatoren.
Kulturdezernent Klaus Hattenbach, der aus Kassel gekommene Kulturamtsleiter Norbert Reif und der Mitarbeiter im Kulturamt Andreas Ittner ebneten den Weg für das erste Ensemble um Sven Schlötcke und Horst J. Lonius, das im Jenaer Theaterhaus ganz auf experimentelles Theater setzte und die Erfolgsgeschichte des später in eine gemeinnützige GmbH umgewandelten Jenaer Theaterhauses begründete.
Norbert Reif war es auch, der gemeinsam mit Lutz Engelhardt auf dem Theatervorplatz die „Kulturarena“ ins Leben rief und ein für die neuen Bundesländer einmaliges „Weltmusikfestival“ etablierte, das bis heute im Sommer Abend für Abend viele Menschen auf den Theatervorplatz lockt und Jenas Innenstadt belebt.
Eine lebendige Vereinsszene ist in den 1990er Jahren entstanden, die Vieles in Bewegung gebracht hat. Erinnert sei nur an den Verein „Jazz im Paradies“ und Tommy Eckardt, den Begründer der Jazzmeile, an die Pantomime-Tage, aus denen ein Festival des Tanztheaters hervor ging, an den Lese-Zeichen e. V. , der in diesem Jahr zusammen mit der Ernst-Abbe-Bücherei Jena nun schon den 25. Lese-Marathon organisiert, an die mittlerweile zu nationaler Bedeutung gelangte Brassband BlechKLANG oder das vereinsgetragene radio okj im Schillerhof, das vor wenigen Wochen den 20. Jahrestag seines Sendestarts begehen konnte. Es sind die vielen sozial aktiven Menschen in der gesamten Vereinsszene, die eine Vielzahl von veranstaltungen organisieren, die Stadt mit Leben erfüllen und sie für Bewohner wie Touristen so lebens- und liebenswert erscheinen lassen.
Zieht man nach 30 Jahren Bilanz, so kann sich die Kulturentwicklung in Jena wahrlich sehen lassen. Die Jenaer Philharmonie hat enorm an musikalischer Qualität gewonnen, die Ausstellungen im Stadtmuseum Jena werden überregional zur Kenntnis genommen, der Neubau für die Ernst-Abbe-Bücherei ist fest geplant, Musik- und Kunst- wie Volkshochschule Jena werden gut besucht und das Jenaer Theaterhaus hat sich zu einer interessanten Experimentalbühne entwickelt. In der Zeit, als unter der Leitung von Margret Franz sich der Übergang vom Kulturamt zum städtischen Eigenbetrieb JenaKultur vollzog, kamen der Saal im Volksbad Jena und die Villa Rosenthal als neue „kulturelle Orte“ mit eigenem Profil hinzu. Allerdings musste im Zuge der Volksbadsanierung das „Haus auf der Mauer“ aufgegeben und einer Nutzung durch das Studentenwerk überlassen werden. Seither mangelt es an Räumen, die von Vereinen zu bezahlbaren Preisen gemietet werden können.
Das Meiste, was in den letzten 30 Jahren entstanden ist, bietet Grund zur Freude. Doch es gibt nach wie vor ungelöste Probleme. Die höchst lebendige sozio-kulturelle Szene ist chronisch unterfinanziert. Freie kreative Menschen in der kulturellen Szene haben es schwer, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die „Personaldecke“ in den Städtischen Museen ist sehr dünn, für wissenschaftliche Arbeit mangelt es an Personal. Auch in der Ernst-Abbe-Bücherei fehlt es an Personal, sodass das „Interimsquartier“ in der „Augenklinik“, das mehr als eine Zwischenlösung ist, an einem Tag geschlossen bleiben muss.
Nicht alle Blütenträume aus dem Jahr 1989 reiften, weil einfach die finanziellen Mittel für ihre Realisierung nicht vorhanden sind. Ein „Kunsthaus“ für Jena, ob nun als „Wohnung für Bilder“ (Walter Benjamin) oder als eine Art „Centre Pompidou“, wie es der Maler Joachim Kuhlmann Mitte der 1980er Jahre ins Gespräch brachte, fehlt noch immer. Alan Gilbert, einstiger Chef der New Yorker Philharmoniker, sagte: „Nicht alle Leute gehen in Konzerte. Aber eine Philharmonie macht eine Stadt zu einem besseren Ort.“ Das Gleiche gilt für ein Kunsthaus.
Schaut man sich die Kulturgeschichte Jenas im 20. Jahrhundert an, so war es über Jahrzehnte die Carl-Zeiss-Stiftung, die Wissenschaft und Kunst in Jena gefördert und stadtbildprägende Gebäude errichtet hat. Jena gehört zu den Städten in Deutschland, die sich wirtschaftlich und wissenschaftlich rasant entwickeln.
Doch entwickelt sich die Kultur in Jena bereits so, dass sie einen sozialen Nährboden für Wissenschaft und Wirtschaft darstellt? Wäre es nicht denkbar, dass sich Traditionsunternehmen unserer Stadt und junge, aufstrebende Firmen in Jena und seinem Umland zusammen schließen und eine Stiftung zur Unterstützung von Wissenschaft und Kultur gründen? Einen Vorschlag, nach welcher Persönlichkeit des wissenschaftlichen und kulturellen Lebens unserer Stadt sie benannt werden könnte, kann ich schon jetzt beisteuern!
Dietmar Ebert