Solidarität in der Pandemie ermöglichte Unmögliches
In den letzten beiden Jahren haben wir auf unseren Kanälen auch immer wieder spezielle Corona-Regelungen für Kulturangebote kommunizieren müssen. Sie bedeuteten vor allem Einschränkungen bis hin zu kompletten Schließungen und dem Herunterfahren von Angeboten. Das erzeugte Traurigkeit, später Frustration, auch ein Stückweit Resignation, bei Gästen, Kund:innen und Nutzer:innen, aber ebenso und besonders bei den Macher:innen, die auf unabsehbare Zeit nicht mehr das tun konnten, was sie ausmacht und übrigens auch ernährt: Kunst und Kultur.
Manche Bereiche durften – gemäß der jeweils gültigen Verordnungslage – auf Sparflamme oder virtuell mit Mundschutz und unter Einhaltung von klar definierten strengen Abstandsregelungen ein wenig weiter machen. Andere waren gezwungen, den Betrieb über lange Distanzen komplett einzustellen, den Kontakt zueinander und zum Publikum zu verlieren. Besonders gebeutelt waren – wegen der Aerosole! – die Chöre, aber auch Musiker:innen, vor allem diejenigen mit Blasinstrumenten, alles, was man nicht einzeln tun kann, sowieso. Plötzlich hätte man ganz andere Raumgrößen gebraucht, um irgendwie und mit großen Abständen ein wenig weiter machen zu können.
Hinter den Kulissen entstanden so aber auch einerseits ganz neue Ideen, man denke an das zauberhafte digitale Ukulele-Projekt mit Philipp Schäffler oder die StraßenPflasterFestSpiele, und andererseits wuchs eine neue Art von Gemeinsinn und viel Solidarität in der Szene.
Von einer sehr besonderen Corona-Kooperation wollen wir heute berichten, indem wir die Beteiligten zu Wort kommen lassen. Da sind einmal die Big Bands aus der Musik- und Kunstschule [1], also Schüler:innen, Student:innen und anderweitig berufstätigen Hobby-Musiker:innen, die sich in ihrer Freizeit seit Jahren dem Abenteuer, ein Instrument zu erlernen, verschrieben haben, die gern miteinander musizieren. Und auf der anderen Seite die „coolen Typen“ des Kassablanca e.V., die zu Ermöglichern wurden, indem sie in komplizierten Zeiten den Nachwuchsmusiker:innen den dringend benötigten großen Probenraum zur Verfügung stellten.
1. Die „Asylanten“
1. 1. Der Lehrer
Wie war die Atmosphäre im Kassa?
Klaus Wegener (Leiter der R&BBees [Rhythm and Blues Bees] Big Band der Musik- und Kunstschule Jena): Tatsächlich waren wir anfangs alle furchtbar gespannt, wie es sich wohl anfühlen würde, im Kassablanca zu proben. Es war sehr ungewohnt, so weit auseinander zu sitzen, wie es die Corona-Hygieneregeln vorgeschrieben haben. Aber da die Akustik im Kassablanca trotz des großen Saales sehr trocken ist, konnten wir uns ausgezeichnet gegenseitig hören, und auch die größte Lautstärke der Big Band drückte nie unangenehm auf die Ohren.
Die Zusammenarbeit mit dem Kassablanca-Team war wundervoll! Es gab immer einen für uns zuständigen Menschen, der uns bei wirklich allen Problemen sofort zur Seite stand, wenn wir ihn anriefen. Aber während der Probenarbeit haben wir uns gefühlt, als wären wir ganz für uns. Mit jedem Einzelnen hatten wir einen unglaublich unkomplizierten, freundschaftlichen Umgang. Für mich persönlich war es dann das I–Tüpfelchen, dass ich in einer Probenpause, wenn ich mir wieder mal den Mund ganz trocken geredet, gerufen oder gesungen hatte, in den Turm des Kassa hoch gehen und mir dort im Café ein eisgekühltes Getränk kaufen konnte.
Wie müssen wir uns die Probenarbeit vor Ort vorstellen?
Die Regeln waren klar. Alle sitzen sehr weit auseinander, und wir mussten aufgrund der Auflagen mit der Big Band den gesamten Raum des Kassablanca einnehmen. Alle saßen sehr vereinzelt, aber man hörte sich trotz alledem überraschend gut. Die Blechbläser:innen hatten wegen des Kondenswassers alle ein bis zwei Lagen Küchentücher vor sich liegen. Alle Musiker:innen einschließlich Dirigent trugen Masken bis auf natürlich die Bläser, aber auch die mussten, sobald sie ihren Platz verlassen wollten, um bei einem Kollegen etwas zu schauen oder den Saal zu verlassen, eine Maske aufsetzen.
Da wir mit drei Big Bands hintereinander probten, gab es dazwischen Pausen zum Lüften, eine Band musste erst vollständig das Kassa verlassen haben, bevor die nächste Band hinein gehen durfte. Wir durften weitgehend das Equipment der JenaBigBand [2] nutzen, die jeweils am Montag davor auch im Kassablanca proben durfte. So musste nichts doppelt im Kassa gelagert werden, und wir ersparten uns viel Transportarbeit.
Dafür auch an dieser Stelle ein ganz herzlicher Dank an die Freunde von der JenaBigBand! Das war wie eine Art Gegengefallen dafür, dass die JenaBigBand vorher (und hoffentlich auch bald wieder) in der Musik- und Kunstschule mit unserem Big Band-Equipment proben konnte.
Trotzdem musste die erste Big Band jede Woche 30 Minuten früher zur Probe kommen, um alles aufzubauen, und die dritte Big Band musste nach der Probe meist noch 20 bis 30 Minuten bleiben, um alles wieder abzubauen. Aber unsere zuverlässigen und fleißigen Gastgeber:innen hatten schon gegen 15 Uhr alles vorbereitet, alle nötigen Türen aufgeschlossen, alle nötigen Kabel und Verstärker bereit gelegt, und mindestens einer musste bis 21:30 Uhr bleiben, bis die dritte Big Band das Kassablanca wieder verlassen hatte. Oft fehlte bei der Probe irgendetwas, und immer fanden die freundlichen Helfer:innen im Kassablanca eine Möglichkeit auszuhelfen.
Habt ihr euch wohlgefühlt? Was würdest du dir für die Zukunft wünschen? Wo wäre dein idealer Probenraum für die Big Bands?
Auf die Frage, wie wir im Ensemble mit der Corona-Situation umgehen können, hatte ich mal geantwortet: „Ich erlebe uns als Corona-Gewinner.“ Damit meinte ich damals die Chance, im Kassa proben zu dürfen. Die Größe, die Akustik, die vielen Möglichkeiten, die freundlichen Helfer:innen – das war für uns sehr nahe am Ideal. Natürlich fehlte der direkte Austausch mit den Musikschul-Kolleg:innen, ein Big Band-Mitglied schnell mal zu seinem Fachlehrer zu schicken, um bestimmte musikalische Dinge zu klären oder ein Instrument zu reparieren, unser eigenes auf unsere Bedürfnisse abgestimmtes Equipment, die Schränke mit dem Notenarchiv – das hat natürlich alles gefehlt. Und vor jeder Probe musste man sich genau überlegen, was man wohl im Laufe der 3 Proben brauchen könnte und auf keinen Fall in der Musikschule vergessen dürfte.
Rückblickend hat uns das Kassa unglaublich geholfen, diese so schwierige Zeit gut zu überstehen und jetzt spielfertig bereit zu sein, um die Stadt wieder mit Big Band-Musik zu beleben.
Alle Konzerte, die wir jetzt bis zu den Sommerferien spielen, hätten wir ohne die Chance, im Kassablanca zu proben, nicht realisieren können; vorbei ist bereits das am 25. Mai in der freien Schule Milda; es folgen:
- am 3. Juli, 15:00 bis 16:30 Uhr im Paradies, gemeinsam mit dem Show Ballett Formel 1
- am 8. Juli, 17:00 bis 19:00 Uhr im Heimstättenviertel beim Quartiersfest
- am 12. Juli, 16:30 bis 17:30 Uhr auf dem Holzmarkt Jena
1.2. Die Schüler:innen
Emma, 14 Jahre
Kanntest du das Kassa vorher?
Ich kannte das Kassa immer nur von Erzählungen, von Freunden oder von meiner Familie, ich konnte mir nie so richtig etwas darunter vorstellen, aber ich ging mit einer positiven Einstellung hin und war sehr überrascht, da es meine Erwartungen übertraf.
(Carlotta und ich haben uns dort mal zusammen umgeschaut und haben uns dann nach der Probe draußen auf eine Bank gesetzt.)
Carlotta, 14 Jahre
Wie war es für dich, im Kassa zu proben?
Ich fand es schön, im Kassa zu proben, da ich einen sehr kurzen Hinweg hatte. Außerdem finde ich, dass im Kassa eine sehr schöne Stimmung ist.
Kanntest du das Kassa vorher?
Ich war vorher noch nie im Kassa und kannte es nur vom Hören.
Henry, 14 Jahre
Wie war es für dich, im Kassa zu proben?
Ich kann nicht so viel dazu sagen aber es war auf jeden Fall angenehm, dort zu proben, und die Atmosphäre ging klar.
Kanntest du das Kassa vorher?
Nein. Ich kannte es nicht. Ich komme immer aus Weimar, und es war superpraktisch, gleich vom Bahnsteig in den Probenraum zu kommen.
Karl, 10 Jahre:
Wie war es für dich, im Kassa zu proben?
Im Kassa zu proben, war sehr cool, weil ich das erste Mal in einem Club war, und ich mir vorstellen konnte, wie es wäre, dort auf der Bühne zu stehen und aufzutreten.
Kanntest du das Kassa vorher?
Mein Papa und meine Brüder waren schon im Kassa (Konzerten und Disco).
An dieser Stelle ein riesengroßes Dankeschön an das Kassa und seine Mitarbeiter!
2. Die „Asylgeber“
Was hat euch veranlasst, die 3 Big Bands der Musik- und Kunstschule aufzunehmen?
Thomas Sperling (Kassa) [3]: Zuerst kam Sebastian [4] von der JenaBigBand auf uns zu und fragte, ob sie bei uns proben können.
Wir fanden die Idee gut, und so ging es los. Da ja die Musiker:innen im regen Austausch stehen, kam die Info schließlich auch bei der MKS an, und sie meldete sich bei uns und fragte, ob sie auch bei uns „Asyl“ bekommen könne. Somit waren dann am Montag die JenaBigBand und am Dienstag die MKS mit drei Big Bands bei uns im Haus.
Das war sicherlich keine leichte Entscheidung. Der Big Band-Aufbau und die Lagerung der Instrumente, die Betreuung der Schüler:innen und die Zusage für ein regelmäßiges Dienstagsangebot waren bestimmt eine Herausforderung.
Die Entscheidung, den Musiker:innen unsere Halle zur Verfügung zu stellen, fiel uns überhaupt nicht schwer, da es uns wichtig ist, einmal unser Haus mit Leben zu füllen und andererseits den Bands die Möglichkeit einzuräumen, weiterhin proben zu können.
Um das Lagern von Instrumenten zu minimieren, haben wir im Laufe der Zeit die Möglichkeit genutzt, unsere Backline (Schlagzeug, Verstärker) zu reparieren und zu erneuern. Somit gab es auch da eine Win-win-Situation.
Auf jeden Fall war der Aufenthalt der Big Bands für uns eine Bereicherung und eine Freude, ihnen in der auch für sie schwierigen Zeit zu helfen.
Also gerne wieder, aber dann unter hoffentlich anderen Umständen!
Wir hoffen, dieses Denken und Sorgen für- und miteinander bleibt ein positiver Bodensatz der Pandemie. Kennen Sie auch solche Beispiele, die Hoffnung machen?
[1] Die Jenaer Musik- und Kunstschule hat drei Big Bands: die Blue Beans Big Band und die Masters of Muppet, beide unter der Leitung von Georg Maus, sowie die R&BBees (Rhythm and Blues Bees) unter der Leitung von Klaus Wegener.
[2] Die Jena Big Band oder auch JenaBigBand wurde 1991 als Wolf-Friedrich-Bigband gegründet und verleiht also seit über 30 Jahren mit ihrem umfangreichen musikalischen Repertoire unterschiedlichste veranstaltungen einen besonderen Rahmen.
[3] Der Kassablanca e.V. oder kurz auch nur das „Kassa“ genannt, bietet seit 1990 neben festen Klubabenden in den Bereichen House/Techno, Drum and Bass, HipHop und Darkwave auch Konzerte jeglicher musikalischer Couleur an und ist ein beliebter Treffpunkt für junge Leute. Thomas Sperling ist Mitarbeiter des Kassa und Veranstalter von Konzerten und Clubabenden und sozusagen seit den ersten Stunden, exakt seit 1992, dabei.
[4] Gemeint ist Sebastian Paninski, Musiker in der JenaBigBand, Mitarbeiter bei JenaKultur und in jüngeren Jahren mitwirkend in der Big Band der MKS.