Corona-Gespräch von Volkhard Knigge und Jonas Zipf
Es ist das (vorerst) letzte der Corona-Gespräche – und das einzige, das nicht am Telefon, sondern in physischer Ko-Präsenz stattfand, und zwar am 27. August 2020. Mit mindestens anderthalb Metern körperlichen Abstands begegneten sich der Historiker und langjährige Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora Volkhard Knigge und Werkleiter Jonas Zipf im Jenaer Volksbad. Sie schwankten, schwitzten, schwammen zwischen vielen Polen hin und her, von der Geschichte zur Philosophie. Bewegten sich zwischen Subjekt und Kollektiv, zwischen Analyse des Psychischen, insbesondere des Erinnerns, und Psycho-Analyse. Es entspinnt sich ein intensives Gespräch, das wenigstens geistig nicht auf Abstand bleibt…
Und es befasst sich mit Errinnern und Erinnerungskultur, deshalb bringen wir es an diesem denkwürdigen 9. November, an dem in Jena coronakonform auch wieder der „Klang der Stolpersteine“ stattfindet.
JONAS ZIPF: So, die Aufnahme läuft nun. Wir sitzen jetzt im Volksbad. Volkhard Knigge ist zum ersten Mal seit dessen Umnutzung hier. Oft ist es so, dass Leute hierherkommen und uns erzählen, dass sie hier das Schwimmen gelernt haben. Das ist vielleicht heute nicht anders: Indem wir Kultur veranstalten, schwimmen wir ja auch. Heute ist das Volksbad vor allem die Zentrale von JenaKultur. Meine Lieblingsanekdote erzählt immer mein kaufmännischer Leiter: Das Controlling befindet sich in den Schwitzräumen, passenderweise im Dampfbad.
VOLKHARD KNIGGE: In den Schwitzräumen.
JONAS ZIPF: Ausgerechnet das Controlling. Also die, die die anderen zum Schwitzen bringen.
VOLKHARD KNIGGE: Okay.
JONAS ZIPF: Ich muss zu Beginn etwas ausholen, warum es mir nach meinem Gespräch mit Aleida Assmann ein besonderes Anliegen war, nun auch mit Volkhard Knigge zu sprechen. Nach dem hoffnungsvollen Ansatz der prinzipiellen Möglichkeit eines Gelingens einer gemeinschaftlichen Erinnerungsarbeit stieß ich auf die Publikation, die Axel Doßmann zur Arbeit von Volkhard Knigge besorgt hat. Ein Buch in vielen einzelnen Splittern, kleinen Texten, Interviews, das die Überschrift trägt: »Geschichte als Verunsicherung«. Ich habe gelernt, dass dabei im Grunde noch ein wesentliches Adjektiv fehlt, nämlich das Adjektiv »willentlich«. Das heißt, sich wirklich bewusst selbst auch an Geschichte und ihrer Erfahrung in Verunsicherung zu bringen. Darüber würde ich gerne mit Dir, Volkhard, heute reden. Erinnerung ist ja doch was ganz Trügerisches. Und ich bin, zumindest bis zum Vordiplom, studierter Psychologe. Ich habe das nicht zu Ende studiert, weil mich dann die Theaterarbeit gepackt hat.
Aber das, was mich am meisten fasziniert, am meisten geprägt hat in meinem Grundstudium, das war die sogenannte narrative Psychologie, eine ganz kleine Splitterdisziplin, betrieben von Leuten, wie Jerome Bruner oder Jens Brockmeier und zurückgehend auf den Philosophen Paul Ricoeur und dessen Zeitbegriff, bei dem es eigentlich darum geht, dass man Zeit nur in ihrem Verlauf als sinnhaft erlebt, nur dann, wenn man daraus zusammenhängende Narrative erzeugt. Anders kann es bei Biografien und Erinnerungen gar nicht sein. Da will ich mal einsteigen. Niemand kann seine Vergangenheit erinnern, ohne diese automatisch als Narrativ zu konstruieren. Durch diese Narrative werden natürlich Dinge auch verstellt, weil sie Sinnzusammenhänge stiften und Sinn stiften, wo vielleicht gar kein Sinn war. Weil sie Einzelereignisse zusammenfügen in eine kohärente Erzählung. Dazu tritt noch der Faktor, über den da auch einige empirische Forschung betrieben wurde, so habe ich es in meinem Grundstudium zumindest kennengelernt – darüber, dass das Sprechen über diese Vergangenheit in eine sprachliche Eigendynamik gerät. Je länger das Ereignis eigentlich zurückliegt, umso verstellter wird der Blick. Das hat mich sehr fasziniert als eine Hypothese oder Annahme, als Axiom einer narrativen Psychologie, die letztlich die Dekonstruktion solcher Narrative betreibt. Und wenn ich dann in Gespräche komme mit Dir oder mit jemanden wie Aleida Assmann, dann finde ich da vieles wieder, gedanklich, assoziativ, was ich damals gelernt habe. Man muss Erinnerungen schon erst mal grundsätzlich misstrauen, oder?
VOLKHARD KNIGGE: Man muss zunächst verschiedene Dimensionen unterscheiden und die historisch kulturellen, auch politischen Aufladungen und Interessen differenzieren, die in das Reden von Erinnerung und Erinnerungskultur eingegangen sind, nicht zuletzt vor dem Hintergrund und in Folge der Erfahrung des Nationalsozialismus, seiner Verbrechen, insbesondere des Holocaust. Erinnerung ist ja zunehmend zu einem Schlagwort geworden, einer Vokabel, die ohne größeres Nachdenken rein positiv verstanden wird, Erinnerung als ausschließlich Gutes, als wesentlich mit historischer Wahrheit, Aufklärung, mit gelingender Aufarbeitung wenn nicht mit Erlösung verbunden. Da schwingt latent, ich spitze es zu und setze es gleich in Anführungsstriche, ein vermeintliches »Glücksversprechen der Psychoanalyse« mit, das die Psychoanalyse so nie gegeben hat. Psychoanalyse ist immer wieder als Glücksversprechung im Sinne von absoluter Heilung, Erlösung, Befreiung missverstanden worden. Im Freudschen Verständnis heilt Psychonanalyse aber nicht, sondern ist herausforderndes selbstreflexiv-verstehendes Durcharbeiten von lebensgeschichtlich und auch kulturell zugewachsener Entfremdung. Die lässt sich im Prozess von »Erinnern – Wiederholen – Durcharbeiten«, dem die Arbeit an Widerständen, Schmerz, Angst inhärent ist, in Akten verstehenden Begreifens tendenziell auflösen, so dass Wahrnehmung, Kommunikations- und Handlungsmöglichkeiten sich weiten, aber im Paradies ist man damit noch lange nicht und schon gar nicht für alle Zeiten. Erinnern ohne verstehend-begreifendes Durcharbeiten verstetigt im Übrigen den Wiederholungszwang. Diese von einem verkürzten Psychoanalyseverständnis herkommende Erlösungsaufladung der Erinnerungsvokabel hat ihren historische Ort nicht zuletzt in den 1960er, 1970er Jahre, in denen die Wiederentdeckung der Psychoanalyse und die Aufarbeitung der NS- Vergangenheit – auch durch und in Folge der 68er Bewegung – in der Öffentlichkeit an Raum gewinnen.
Darüber hinaus vernebelt der heutige Erinnerungsjargon drei zwar verflochtene, aber doch klar zu unterscheidende Dimensionen von Erinnerung. Die der lebensgeschichtlichen, unmittelbar an eige ne Erfahrung und deren Verarbeitung und Deutung gebundene Erin nerung. Dann das historische Erinnern in der Gesellschaft, das sich etwa in Gedenktagen, Denkmalen oder Benennungen von Straßen niederschlägt; ein Erinnern, das – erst recht mit zeitlichem Abstand – weniger ein Sich-Erinnern ist, sondern ein Erinnert-Werden: durchmachtet, tendenziell umkämpft, funktionalisiert, kommerzialisiert, keineswegs zwingend bzw. essentiell der Wahrheit oder zivilisierenden, menschheitlichen, universalistischen Werten verpflichtet, wie es die subkutane Positivierung der Erinnerungsvokabel suggeriert oder die vorschnelle Rede von Erinnerung als »Königsweg der Demokratie- bzw. Menschenrechtserziehung«, als Medium der Gestaltung einer helleren, besseren, mitmenschlicheren Zukunft. Die dritte Dimension wäre die des historischen Begreifens, des Lernens an und aus der Geschichte, die wir uns nicht allein im Sinne der ersten beiden Dimensionen erinnernd vergegenwärtigen können, sondern die wir uns erschliessen können auf der Basis der kritischen Überprüfung aller Formen der Überlieferung und mittels methodisch geleiteter Vernunft – heute sagt man auch Kompetenzen – , sie befragen müssen auf ihre mögliche Bedeutung für heute und morgen, wenn wir tatsächlich ein geschichtlich unterfüttertes Verhältnis zu uns und unserer Zeit und ihren Herausforderungen gewinnen wollen. Hier geht es um kritisch-reflexives Geschichtsbewusstsein, dass sich auch seiner gesellschaftlichen, seiner soziokulturellen, seiner lebensgeschichtlichen Voraussetzungen und Prägungen bewusst ist. Hier geht es um – arg vereinfachend und sicher auch idealisierend – nicht um Macht, sondern um Wahrheit, Wahrheit im Sinne von Triftigkeit, weil absolute historische Wahrheit natürlich nicht zu haben ist. Erinnerung hat heute zudem oft den Nimbus des Authentischen, sei es in Bezug auf eine Person, eine Gruppe oder im Sinne von absoluter Wahrheit. Darin liegt – oft übersehen – ein erheblich adiskursives, wenn nicht aggressives Potential. Das vermeintlich rein Authentische ist elementar selbstbezogen. Kritisch-reflexives Geschichtsbewusstsein ist in dieser Hinsicht auch ein Medium, dieses zu erkennen und zu überwinden. Das eigene Gewordensein nicht auszublenden, Ambivalenz zuzulassen und dadurch auch auf andere hin offen und kommunikationsfähig zu bleiben. An dieser Stelle möchte ich auch darauf hinweisen, was gerade im Kontext der Geschichte und Nachgeschichte des Nationalsozialismus historisch zur subkutanen Positivierung der Erinnerungsvokabel beigetragen hat, gerade in Westdeutschland, jenseits der staatsdirigistischen Erinnerungskultur der DDR. Gerade weil es nach 1945 und nicht nur für kurze Zeit in der Bundesrepublik immer wieder von Deutschen hieß: »Davon haben wir nichts gewusst« , konnte das »Erinnere Dich« mit unmittelbarer Wahrheit verbunden werden. Wahrheit im Sinne von: »Du, ihr wart doch dabei. Tu, tut nicht so, als wüsstet ihr von nichts. Erinnere Dich! Leugne nicht! Gestehe ein!« Als 1954 Geborener steht mir dies noch vor Augen. Aber – dieses »Erinnere Dich« galt eben unmittelbar Zeitgenossen, galt denen, die dabei waren, die beteiligt waren. Die sich im lebensgeschichtlichen Sinn hätten tatsächlich erinnern können und sollen. Dieses »Erinnere dich« meint sozusagen ein forensisches Erinnern. Es ist im Grunde ein Erinnern wie vor Gericht, ein Erinnern, das Beschweigen und Verleugnung durchbrechen soll, das dieses Beschweigen und Verleugnen nicht akzeptiert. Und das sagt: »Ihr wart dabei, ihr habt mitgemacht, ihr habt es gestützt. Ihr habt es gesehen. Und jetzt könnt ihr euch nicht herausreden.« Hier müsste man noch vieles hinzufügen, etwa inwieweit religiöse Anleihen in die positive Aufladung von Erinnern eingegangen sind, etwa wenn Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner bedeutenden Rede zum 40. Jahrestages des Endes des II. Weltkriegs von Erinnern als Erlösung sprach oder aber, dass die Achtung und Anerkennung der lebensgeschichtlichen Erinnerung von Verfolgten als Zeugnis, als ein besonderes Dokument historischer Erfahrung tatsächlich ein gesell schaftlicher Fortschritt und eine bedeutende historische Quelle sein kann, um die Überlieferung der Verfolger, die »Geschichtsschreibung der Sieger, der Herren« zu brechen. Die Rede von von Weizsäcker, der zum ersten Mal im Zusammenhang mit dem Kriegsende von Befreiung und nicht von …
JONAS ZIPF: … »Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung«…
VOLKHARD KNIGGE: … ja, er spricht nicht mehr von Katastrophe, Zusammenbruch oder sonst irgendetwas euphemistisch Überzeitlichem, das hereinbricht, als hätte es mit dem staatlichen und gesellschaftlichen Agieren in Deutschland davor nichts zu tun, sondern er spricht tatsächlich von »Befreiung«. Und er zählt erstmals so ziemlich alle Opfergruppen des Nationalsozialismus auf. Aber er verwendet eben auch den dann in der Gedenkkultur sich etablierenden, schief sich auf jüdisch- theologische Tradition beziehenden Satz: »Erinnerung ist das Geheimnis der Erlösung.« Darin dann einmal mehr auch der schiefe Bezug auf Freud. Erinnern – weder das lebensgeschichtliche noch das historische in der Gesellschaft – als solches ist zunächst mal nicht erlösend noch befreiend, noch gut oder böse, sondern es ist ambivalent, weil es das eine wie das andere sein kann. Erinnerung hatten auch die Nationalsozialisten. Historisch erinnert hat noch jede Diktatur und hat dazu auch Geschichtsbücher umgeschrieben. Ob Erinnerung etwas mit Wahrheit, Aufklärung, Gerechtigkeit, Mitmenschlichkeit oder der Überwindung von politischen Verbrechen und deren Folgen zu hat, hängt elementar von den Werten und Zielen ab, denen sich gerade das historische Erinnern verpflichtet. Wie gesagt, auch die Nationalsozialisten haben an ihrer Erinnerung, ihrem Geschichtsbild gebaut. Sie haben es nicht nur in Büchern, Filmen, Feiern, Bildern oder Ausstellungen und mittels Erinnerungsberichten etabliert, sondern etwa auch städtebaulich, man denke nur an Speers Umbau-Planungen für Berlin. Gerade das historische Erinnern wurde und wird sehr häufig zur Waffe. Wer ist der Feind? Mit wem habe ich noch eine offene Rechnung? Auch solche Fragen sind Formen des historischen Erinnerns. Ich bin ihnen heftigst z. B. in den Nachfolgestaaten des blutig zerfallen Jugoslawien begegnet. Oder in Russland. Oder … Aber natürlich erleben wir das auch in Deutschland, erleben, dass Untaten zu Heldentaten umerinnert oder dass sie relativiert werden. Auch der Flügel der AfD hat eine historische Erinnerung, ein Geschichtsbild. Verlieren wir deshalb die Nachtseiten des Erinnerns, auch begrifflich, nicht aus den Augen. Vergessen wir nicht, dass wegen dieser Nachtseiten Friedenverträge seit dem antiken Griechenland Vergessen zur Pflicht machten – so auch der »Westfälische Friede« zur Beendigung des Dreißigjährigen Krieges. Diese Praxis war dann aber angesichts der Menschheitsverbrechen des nationalsozialistischen Deutschland nicht mehr zu rechtfertigen … Und nun befinden wir uns in einer Art Erinnerungsparadox. Das historische Erinnern soll Werte und Haltungen rechtfertigen, die aber schon vorausgesetzt werden müssen, um historische Geschehnisse, um staatliches oder personales Handeln als gut oder böse, als vorbildlich oder als verwerflich zu qualifizieren.
JONAS ZIPF: Damit wäre zwar der Hinweis gegeben, dass es nicht mit Erinnern alleine getan ist. Dennoch steckt darin – wie ich finde – immer auch ein Funken des Prinzips Hoffnung. Die Trias von Freud wird erst erreicht, wenn Erinnerung auch durchgearbeitet wird, das stimmt. Auch gibt die Psychoanalyse dieses Versprechen nicht: Das sehe ich genauso, dass wir nicht vorher wissen können, ob wir das bewältigen können, was da hochkommt, was dann durchgearbeitet wird. Doch ohne irgendeine Hoffnung würde sich ein Analysand gar nicht erst auf den Weg machen und da hineinbegeben. Das würde ich schon unterstellen. Der Analysand bringt die Hoffnung mit, dass es weitergehen kann, über die Erinnerung hinaus. Ohne irgendeine Hoffnung hätte die Psychoanalyse keine Weltkarriere gemacht.
Darin liegt – wir treffen uns ja heute auf den Tag genau 250 Jahre nach der Geburt von Hegel – etwas Dialektisches. Da ploppt etwas hoch, aus der Erinnerung. Ein Affekt, ein Gefühl, ein erinnerter Zustand. Dieses Etwas gilt es durchzuarbeiten. Und dann kommt man irgendwo an. Wo, das wird man vorher nicht wissen, das ist eine geradezu gefährliche Angelegenheit. Immerhin, bleiben wir bei Freud, handelt es sich um die Bewusstwerdung von Unbewusstem, also um nichts, das kontrollierbar wäre. Sonst, und das war auch ein wichtiger Hinweis, wäre es preisgegeben, könnte instrumentalisiert und zur Waffe gemacht werden. Wenn es aber offen bleibt, kann es doch zu einer Bewältigung, zu einer Verarbeitung kommen, die den Analysanden schließlich weiterbringt. Oder?
Das meine ich mit dialektisch. Darin steckt so etwas wie ein Rhythmus. So habe ich es auch mit Aleida Assmann besprochen. Da wechseln sich unterschiedliche Phasen ab. Vor der Erinnerung und Durcharbeitung steht eine Phase, in der ein Konflikt erst mal abkühlen muss, bevor man überhaupt wieder in die Lage kommt, ihn zu erinnern und durchzuarbeiten. Du hast ja gerade davon gesprochen, dass es historische Friedensschlüsse und Verträge gab, in denen das Schweigen verankert wurde. Wenn man so möchte, brauchte es vielleicht die Zeit bis 1968, bevor die Töchter und Söhne in Westdeutschland ihren Vätern offene Fragen stellen konnten. Vielleicht braucht es eine Zeit des Schweigens und des Abkühlens, um dann überhaupt wieder in Erinnerungsarbeit einsteigen zu können. Das ist das, was ich Rhythmus nenne. Ein Rhythmus, wenn man so möchte, zwischen heißem und kaltem Erinnern. Manchmal wird eine ähnliche These ja auch in Bezug auf Ostdeutschland formuliert: Als bräuchte es jetzt eine Art ostdeutsches ’68. Sicher lässt sich das nicht von der Theorie in die Praxis übertragen. Daher empfinde ich diesen Gedanken als bevormundend und wohlfeil. Und doch beschreibt Assmann etwa am Beispiel des postfranquistischen Spaniens sehr beeindruckend, wie der Wechsel zwischen Schweigen und Sprechen gelingen kann. Indem eine jüngere Generation kommt und Fragen stellen kann, weil eine gewisse Distanz entstanden ist, weil bestimmte Konflikte vielleicht kälter geworden sind. Ich finde diesen Gedanken bemerkenswert. Und möchte damit gerne auf Assmanns vielleicht naiven, aber daher nicht weniger begeisternden Glauben zu sprechen kommen, dass man mit einer Kollektivierung von auch kulturellen Ritualen, Gedenkpraktiken nach dem Abklingen einer gewissen Phase des Erkaltens in eine Aussöhnung einsteigen kann. Wohlgemerkt: Ich denke, dass auch in diesem Kontext die Prämisse gilt, die Du gerade benannt hast: Dass Konflikte vorher offen durchgearbeitet werden müssen, dass Erinnerung nicht instrumentalisiert, inszeniert werden darf im Sinne irgendeiner Macht. Aber Assmanns Hinweis gewinnt ja gerade in Bezug auf den 8. Mai, wie ich finde, eine charmante Stärke. So, wie die Debatte in den Achtzigern, aus dem Historikerstreit heraus in Deutschland geführt wurde, läge darin doch eine große Chance für eine gemeinsame, europäische Erinnerungskultur. Der 8. Mai ist ein Datum, das bereits eine rituelle Kraft, auch in anderen Ländern, anderen Gesellschaften, besitzt. Da ließe sich vielleicht ein gemeinsamer europäischer Nenner herstellen. Die Frage ist, ob das geht, ohne dass man es euphemisiert, ohne dass man Differenzen überkleistert und dann eben wieder in eine Art Harmonisierung von Erinnern gerät. Ich habe ja vorher von Narrativen gesprochen, die natürlich Machtdispositive sind, immer. Aber diese Hoffnung würde ich nicht ganz abstreifen oder abstreiten wollen. Wie gesagt: Auch in die Psychoanalyse steige der Analysand ja nicht ein ohne Hoffnung. Warum sollte er, warum sollten wir uns sonst auf diese Anstrengungen einlassen?
VOLKHARD KNIGGE: Nein. Das entscheidende Stichwort ist »Macht«. His toriker denken hier natürlich erstens an Geschichte und zweitens ans Soziale und drittens auch an Politik. Psychoanalyse ernstgemeint, schafft einen herrschaftsfreien Raum, ein Entre-deux zwischen dem, der die Analyse will und dem Psychoanalytiker, der Psychoanalytikerin. Eine erzwungene oder aufgenötigte Psychoanalyse ist keine. Und der Psychoanalytiker, die -analytikerin sind gut beraten, es nicht besser zu wissen als der Analysand. Psychoanalyse ist gerade nicht besserwissendes, herrschaftliches Interpretieren, sondern nachträgliches Verstehen von lebensgeschichtlich, von kulturell zugewachsener Entfremdung. Durcharbeiten lässt sich weder auf Therapie beschränken, noch zielt es auf Glück, sondern, sage man auf die – Hegel hast Du bereits erwähnt – Aufhebung von blinden Flecken, von Fixierung und Zwang, Wiederholungszwang. Damit sind Autonomiegewinne verbunden, auch Entängstigungen, Freiheiten – aber Gott wird man deswegen nicht, also auch nicht unverletzlich. Das bezieht sich aber auf das Subjekt. Gesellschaften kann man gar nicht auf die Couch legen. Legte man Gesellschaften auf die Couch, erzeugte man – ich spitze das jetzt zu – ob man es will oder nicht, eine Art säkulares Priestertum, eine Kaste, die die Gesellschaft belehrt, was an ihr schief ist. Das mögen Menschen nicht so gerne.
Das Elementare an gelingender Psychoanalyse ist das Durcharbeiten von Widerständen. Durch, wie gesagt, Verstehen ihrer latenten Bedeutung, ihres Sinnes für das Subjekt. Auch weil das psychoanalytische Setting für Durcharbeiten/Verstehen sich nicht auf die Gesellschaft übertragen lässt, ist es wichtig, zwischen Erinnerung im Sinne des lebensgeschichtlichen Erinnerns, das an eine Person gebunden ist, und dem historischen Erinnern in der Gesellschaft zu unterscheiden. Historisches Erinnern in der Gesellschaft bezeichnet, empirisch sehr weit gefasst, eigentliche alle Bereiche und Formate, in denen Staat und Gesellschaft Vergangenes vergegenwärtigen und mit Gegenwarts- bzw. Zukunftsbedeutung versehen. Die Geschichtswissenschaft, erst recht eine kritische Geschichtswissenschaft, kann dabei involviert sein oder eben auch nicht. Oft gilt sie als Störenfried, kann sogar ausgeschlossen werden. Wer die Macht und den Willen hat, kann sie einfach hinauswerfen. Auch ohne Fundierungen durch solide Forschung wird in der Gesellschaft immer schon mit Geschichte und historischer Erfahrung umgegangen, oft ambivalent, mehrdeutig und höchst konfliktreich. Gesellschaften haben ebenso wenig eine kollektive Erinnerung wie Staaten, Nationen, Deutsche, Franzosen oder welche anderen Großsubjekten auch immer. Hier spreche ich mit Reinhard Koselleck. Er macht darauf aufmerksam, dass auch personenübergreifende Erinne rungen an erlebende Individuen und an mit anderen geteilte Erlebnisse und Erfahrungen gebunden seien, die letztlich eins zu eins gedeutet werden müssten, was natürlich unmittelbar gar nicht vorkommt. Dass Nationen sich erinnern, ist in dieser Perspektive eine rhetorische Figur, eine Konstruktion. Die vermeintlichen kollektiven Erinnerungen sind – erst recht wenn sie sich auf Geschehnisse beziehen, die auch zeitlich nicht mehr im eigenen Erfahrungsraum liegen – eigentlich kollektivierte Erinnerungen. Wie werden sie kollektiviert? Da ist man wieder beim Problem der Macht, der Durchmachtung der Konstruktion und Durchsetzung historischen Erinnerns. Natürlich kann man sich bemühen, in diesen Prozessen Partizipation, Chancengleichheit, geschichtswissenschaftlich fundiertem Argumentieren Raum und Gewicht zu verschaffen. Aber erstens muss man das im Sinne demokratischer Kultur tatsächlichen Wollen, gegebenenfalls Erstreiten und Verteidigen und zweitens wird auch damit deutlich, dass es ein quasi natürliches, hochgestochen formuliert ontologisch verbürgtes, kollektives Erinnern nicht gibt.
Etwa in einer Debatte, ob ein Denkmal gebaut oder nicht gebaut wird, ist nicht jeder gleich stark. Da spielt Geld eine Rolle, da spielt Macht eine Rolle, da spielt Einfluss eine Rolle, da spielen politische und materielle Durchsetzungskraft eine Rolle und vielleicht, hoffentlich das bessere Argument, sachlich und ethisch. Aber noch einmal zurück zur geteilten Erfahrung. Auch geteilte Erfahrung wird nicht zwangsläufig gleich, identisch, kongruent erinnert. Natürlich gibt es Gruppen, die Erfahrungen teilen. Demonstrantinnen und Demonstranten die einer Demonstration, Parteimitglieder die eines Wahlkampfs oder die eines Parteitag usw. Trotzdem werden die an sich geteilten Erfahrungen nicht zwangsläufig gleich erinnert. Schon im Moment des Erlebens können sie unterschiedlich wahrgenommen, gewertet, gewichtet, mit Sinn versehen werden, von nachträglichen Prozessen kommunikativer, sozialer Formung und Repräsentation ganz abgesehen. Ein kollektives Gedächtnis ist ein gemachtes Gedächtnis, auch wenn die Prozesse des Machens aus dem Blick geraten, vergessen werden können. Wer mit wem zu welchem Zweck Erinnerung macht und durchsetzen will, ist und bleibt eine elementare Frage gerade für die Geschichtskultur in der Demokratie.
»Rhythmen der Erinnerung« – Historiker tun sich mit Rhythmen, die sich quasi natürlich vollziehen, schwer. So wenig wie es eine Teleologie des Verlaufes von Geschichte gibt, gibt es eine der Erinnerung und ihrer Entwicklung. Heiße und kalte Erinnerungen – das sind für mich, in historischer Perspektive, Umschreibungen für unterschied liche Grade der Lebendigkeit und Virulenz von Geschichte in einer jeweiligen Gegenwart. Heiß ist das Verhältnis zu einer Vergangenheit, wenn diese in den an ihr Beteiligten, von ihr unmittelbar Betroffenen noch da ist. Überlebende des KZ Buchenwald haben mir oft erzählt, wie schwer ihnen Deutschland-Besuche gefallen sind. Wie hatten sich ältere Deutsche zwischen 1933 und 1945 verhalten, die ihnen auf dem Bürgersteig, im Hotel oder im Café begegneten? In solchen Begegnungen, konkreten Begegnungen von Zeitgenossen zwischen denen ein Verbrechen, zwischen denen konkrete Schuld, Verantwortung, zwischen denen Wahrheit oder Lüge, Bekennen oder Ausflucht standen, war die Vergangenheit noch nicht vergangen und die Erinnerung an sie heiß. Was eben auch heißt, strittig, umkämpft, verletzend, aktuell. Diese Aktualität, diese Virulenz schmilzt, ändert sich mit dem Vergehen von Zeit und dieses Vergehen kann man Erkalten nennen. Aber dieses Vergehen von Zeit ist eben auch sozial, kulturell und politisch geprägt und geformt. Virulenz kann geleugnet oder politisch bestritten werden, Erkalten z. B. durch schlechte Vermittlung absichtlich oder unabsichtlich befördert werden. Letztendlich kommt es darauf an, ob Menschen sich Geschichte, gerade auch menschenfeindliche Geschichte etwas angehen lassen wollen. Beinahe hätte ich gesagt, zu Herzen nehmen. Auch das ist mit historischem Begreifen gemeint. Wissen und Begreifen wollen, in welcher Weise Geschichte nachwirkt, noch da ist, unabgegolten ist. Begreifen in diesem Sinn kann Geschichte, um im Bild zu bleiben, wieder heiß machen. Blicken wir kurz auf die Geschichte des selbstkritischen historischen Erinnerns und Gedenkens in der Bundesrepublik zurück. Das historische Erinnern an den NS und seine Verbrechen hat sich nicht zuletzt durch Konflikte in der Gesellschaft entwickelt. Aber diese Konflikte hätten auch ganz anders ausgehen können, als dass das Erinnern an den Holocaust staatsoffiziell werden und zur »deutschen Identität« – so etwa Bundespräsident Gauck – gezählt werden würde. Und es brauchte spezifische historische Voraussetzungen und Rahmenbedingungen, damit diese Form historischer Erinnerung überhaupt in Gang kam. Stenographisch: die totale Niederlage 1945, die Alliierten – Stichwort Nürnberger Prozesse –, die unabweisbare Erfahrung, die Zeugnisse, die Beweise der Verbrechen in den von Deutschland besetzten Ländern, die Alternativlosigkeit der Westbindung in Folge des Kalten Krieges und damit verbunden Konzessionen an Anerkennung der Untaten und »Wiedergutmachung «, die Präsenz der Westmächte und deren Bereitschaft, gegen offen aufkeimenden Neo-Nationalsozialismus zu intervenieren. Nicht weil die »Erinnerung der Täter« erkaltete, konnte sich aufklärendes, selbstkritisches gesellschaftliches Erinnern peu à peu etablieren, sondern weil es Menschen und auch Institutionen gab, die sich unter diesen besonderen Bedingungen, mit dem Rückenwind dieser Bedingungen dafür einsetzten.
Aber wie gesagt, dass hätte auch schiefgehen können und wie es scheint, steht das selbstkritische historische Erinnern, die Arbeit an kritisch-reflexivem Geschichtsbewusstsein noch vor ihren größten Herausforderungen – von unverbindlicher Eventisierung, wissensentkerntem Moralisieren bis hin zu einer Bekämpfung durch die altneue nationalistische, autoritäre, antidemokratische und rassistische Rechte. In Post-Bürgerkriegsgesellschaften ist die Ausgangssituation für den kritischen Umgang mit Geschichte natürlich eine andere. Hier läuft das historische Erinnern immer Gefahr, die alten Feindschaften neu zu mobilisieren. Nochmals, meines Erachtens darf man den historischen Spezifika des historischen Erinnerns nicht ausweichen, darf man die Dimension der Durchmachtung, der Konflikte und die ihres a priori nicht feststehenden, ihres nicht ein für alle Mal gesicherten Ausgangs nicht aus den Augen lassen. Erinnerungskultur folgt keinem teleologischen oder ontologischen Automatismus, keinem quasi naturhaften Prozess, möglicherweise sogar Reifungsabstufungen unterlegt.
JONAS ZIPF: Ich bin vielleicht heute wirklich gedanklich ein bisschen zu sehr davon geprägt, dass Hegel Geburtstag hat. Daher versuche ich noch mal, dagegen zu halten.
VOLKHARD KNIGGE: Nur zu.
JONAS ZIPF: Die getroffenen Unterscheidungen sind wichtig. Da gebe ich Dir recht: Psychoanalyse ist keine Therapie; das Subjekt kann man nicht vergleichen mit gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen; schon gar nicht können wir von einem Kollektiv sprechen, höchstens von Prozessen dorthin, Kollektivierungsprozessen. Das sind wichtige Unterscheidungen. Auch kann ich die Argumentation des Historikers teilen, jedes Phänomen singulär, aus seinem spezifischen Kontext heraus, betrachten zu müssen. Durch diese wissenschaftliche Brille betrachtet, sind Vergleiche zwischen Franquismus und Nationalsozialismus schwierig. So lassen sich kaum Modelle entlehnen und schon gar nicht vor der Folie einer unterstellten teleologischen, weltgeisthaften Kraft, die irgendwie quasi abpausbar, erkennbar würde.
Trotzdem will ich noch mal in den Abstraktionshubschrauber und eine Ebene höher steigen. Ich möchte es ein bisschen philosophischer angehen und nach der Frage des Bedürfnisses schielen. Woher kommt denn der Bedarf an Erinnerungsarbeit? Ob subjektiv oder kollektiv, konstruiert oder essentialistisch. Es existieren doch ganz offensichtlich Bedürfnisse, Vergangenheit zu verarbeiten, durchzuarbeiten. Woher kommt die? Es wäre doch viel leichter, im Hier und Jetzt zu leben und in die Zukunft zu gehen. Und an diesem Punkt will ich jetzt nicht Bloch, sondern einen anderen Philosophen stark machen, der meiner Meinung nach Hegel nahesteht und den ich jetzt einfach als Kronzeuge zitiere: Peter Bieri. Wenn er im Handwerk der Freiheit davon spricht, was uns Menschen vom Tier unterscheidet, übrigens auch gegenüber künstlicher Intelligenz auszeichnet – das paraphrasiere ich jetzt in verkürzter Form – das ist es unsere Fähigkeit und Freiheit, über zeitliche Einschränkungen hinweg denken zu können, etwa aus der Vergangenheit heraus Erfahrungen abzuleiten und daraus Pläne in die Zukunft zu entwerfen. Das, was wir gelernt haben oder meinen, gelernt zu haben aus der Vergangenheit, so zu sortieren, dass wir daraus Strategien und Pläne für die Zukunft entwickeln. Und das sogar noch über Generationen hinweg: Dann nennen es Evolutionsbiologen wie Michael Tomasello Zivilisation. Auch das hat nicht eine Generation an Forschern alleine herausgefunden: Es gibt so etwas wie tradierte Erfahrungen und tradiertes Wissen.
Angesichts der Corona-Pandemie finde ich das besonders spannend. Plötzlich tauchen Erfahrungswerte und Wissensinhalte wieder aus dem kulturellen Gedächtnis auf, die in früheren Pandemien oder Seuchensituationen entstanden sind. Kulturell, indem wir jetzt alle anfangen, wieder Der Fremde von Camus zu lesen oder Die Stadt der Blinden von Saramago, indem wir uns künstlerische Repräsentationen des Schwarzen Todes, der Pest vergegenwärtigen usw. Aber auch ganz wissenschaftlich und hart empirisch, indem das historische und medizinische Wissen rund um die Spanische Grippe, als letzte weltumspannende, uns alle betreffende Seuche, vor knapp hundert Jahren, wieder hochgeholt wird. Offensichtlich gibt es ein Bedürfnis, in die Vergangenheit zu schauen. Mit Bieri will ich sagen, dieses Bedürfnis existiert sowohl subjektiv, als auch im Kollektivierungsprozess. Es geht darum, aus der Vergangenheit Erfahrungen zu entlehnen, Erfahrungsmehrwerte, Erkenntnisgewinne, anhand derer wir Gegenwart und Zukunft bewältigen lernen. »Handwerk der Freiheit« nennt Bieri das, weil in dieser Kulturtechnik eine der größten menschlichen Freiheiten liegt. Und an genau dieser Stelle setzt Hegel als Freiheitsphilosoph an, wenn er seinen Geschichtsbegriff entwickelt: Geschichte entsteht überhaupt erst mit einer Überlieferung, die es ermöglicht, über den Tellerrand der Zeit, über biologisch begrenzte Lebensalter und Generationen hinausschauen zu können. Nur so kann Hegel einen Weltgeist schauen. Nur so lassen sich Gedankengebäude entwerfen – so wie wir es heute tun – die wirklich den Rand unseres Hier und Jetzt, unserer Haecceitas, überschreiten. Indem wir auf dem aufbauen, was vor uns erarbeitet wurde. Indem wir nicht jeden Gedanken allererst denken müssen.
Ich finde: Von diesem Bedürfnis ausgehend, ist die Kollektivierung von Erinnerungen von überragender Bedeutung. Bei allen kritischen Fragen, die Du berechtigterweise an die jeweilige Durchmachtung von Erinnerungsdispositiven stellst, liegt darin doch einfach eine genuine Qualität. Darin liegt etwas Positives, wenn wir in die Lage kommen, von uns zu sagen: Das haben wir verstanden, deswegen müssen wir bestimmte Dinge anders machen.
Deine Argumentation kommt mir dagegen so vor wie die negative Dialektik nach Adorno, der im Blick auf die Ungeheuerlichkeit des Holocaust jegliches Verständnis eines zivilisatorischen Fortschritts absagt, zeitweise ja sogar davon spricht, dass es nach Auschwitz keine Ästhetik mehr geben kann. Aber ich finde, irgendwann muss es doch den Zeitpunkt geben, an dem ich aus diesem Korsett auch wieder aussteigen kann. Damit möchte ich nicht das unfassbare Schrecken und unsere daraus resultierende Verantwortung relativieren oder negieren. Damit die Erinnerung aber wach bleibt, auch wenn irgendwann keine Zeitzeugen mehr leben, müssen wir auch hier nach vorne denken und neue Formen finden, neue Übersetzungen der Tradierung von Wissen. Sonst passiert das, was ich vorher mit narrativer Psychologie beschrieben habe: Erinnerung gerinnt und verselbstständigt sich. Das mag ich so am Konzept von Geschichte als willentlicher Verunsicherung: Wir müssen uns ständig neu befragen und einander aussetzen.
VOLKHARD KNIGGE: Ja. Mit dem Begriff des kulturellen Wissens könnte ich viel besser leben als mit Erinnerung als einem entkernten, unscharfen Zauberwort, das Machtverhältnisse verunklart, die Ungleichheit von Artikulationschancen überspielt, die Heterogenität von Erfahrungen überspielt, Heterogenität auch im Sinne unterschiedlicher Stellung im Sozialen, in den sozialen Hierarchien und in Folge gesellschaftlicher Ungleichheiten. Das die Ambivalenz von Erinnerung, ihre Nachseiten, ihre aggressiven Mobilisierungspotentiale ausblendet. Erinnern allein begründet eben nicht schon ein kritisch-reflexives Verhältnis zur Welt und zum Mitmenschen. Mit Lacan, wegen dessen Radikalfreudianismus ich seinerzeit nach Paris gegangen bin, könnte man eher sagen, Erinnern als solches tendiert zum Zirkulären, zum Imaginären als narzisstischer Selbstumkreisung, gerade im Fall auch von Gruppen. Es zielt strukturell auf starre Identität, Geltung, überlegene Besonderheit, wendet sich gegen das, was das Größenselbst beeinträchtigt, ankratzt, in Frage stellt. Das Andere, der / die Andere kommt dann nur in den Blick, sofern sie bestätigend wirkt.
JONAS ZIPF: Ja. Ein verständlicher, allzu menschlicher und meist unbewusster Wunsch. Genau diese Narrative sind es, die im Fokus der Dekonstruktionsarbeit narrativer Psychologen stehen.
VOLKHARD KNIGGE: Genau daher tue ich mich sehr schwer mit den Wünschen, die uns ein Hauptzug gegenwärtiger Erinnerungskultur beschert hat: Auf einmal dreht sich alles nur noch um Identität durch Identifikation statt um Bewusstsein, Reflexion, Begreifen, das eben auch Identitäten und Identitätszumutungen und Zwänge hinterfragt, hinterfragt, was diesen Identitätshunger forciert, also auch welche Prozesse der Desubjektivisierung, welche Prozesse den Menschen zum Ding, zum bloßen Objekt machen, darin wirken und was oder wen die jeweiligen Identitäten als nichtzugehörig, als identitätsfremd exkludieren.
JONAS ZIPF: Ja. Daher ist es so wichtig, kritisch von außen auf diese Wünsche zu schauen. Sie durchzuarbeiten.
VOLKHARD KNIGGE: Mir geht es um Bewusstsein, ein Geschichtsbewusstsein, das sich historische Prozesse, das Wirken des Gestern im und auf das Heute und Morgen erschließen kann, so auch das Wirken von menschlichem Handeln und Unterlassen in diesen Prozessen, das Wirken von Institutionen, rechtlichen Gegebenheiten, sozialen, kulturellen und politischen Dispositionen, Mentalitäten, auch von – ausgebeuteter – Natur, auch von Kontingenz. Wie kommt was? Von was? Ein Bewusstsein, das sich für die Warum-Fragen interessiert. Dafür braucht es natürlich auch eine belastbare Basis an überprüftem Wissen. Wissen, das den beschränkten Horizont von Erinnerungen öffnet und überschreitet, das Erinnerungen sogar irritiert. Du hast Ricoeur erwähnt und hier wären vielleicht die drei Dimensionen wenigstens grob anzusprechen, die er unterscheidet. Ersten die des immer schon vor jeder rationalen Befassung mit Geschichte und historischer Erfahrung vorhandene Dimension des Gedächtnisses, des Umgangs mit Vergangenheiten und Vergangenheitsdeutungen, in die wir von Anfang an hineingeboren, hineinsozialisiert werden – Umgänge in Familien, Gruppen, Medien, der Öffentlichkeit, Kunstwerken … Auch die Geschichtswissenschaft als eine besondere Form der Vergangenheitserschließung und -bearbeitung ist Teil des Gedächtnisses, wirkt auf es, wird aber auch von ihm beeinflusst.
Und dann die Ebene der beinahe detektivisch-akribischen, sorgfältigen Erschließung und Analyse von Zeugnissen, Quellen, die Ebene der Dokumentation, auf der es auch um Wahrheit im Sinne von Echtheit geht, das angemessene Ins-Verhältnis-Setzen der Quellen. Die ernsthafte Beachtung belastbarer Überlieferung gibt dem Sprechen über und dem Deuten von Vergangenheit Impulse, setzt ihm aber auch Grenzen. Nicht alles ist mit gleichem Wahrheitsanspruch sagbar. Nicht zuletzt darin liegt die kritische Kraft der Geschichte/Historie als Wissenschaft. Und schließlich die Ebene der Narration, die zwangsläufig mit Sinnbildungen verbunden ist. Auch wenn wir heute akzeptieren, dass es keine absolute Wahrheit und deshalb nicht nur ein totales Narrativ geben kann, bleibt doch ein Triftigkeits- und Qualitätskriterium, ob und wie die jeweils bekannte und gesicherte Überlieferung beachtet, lege artis beachtet wird. Historische Narrative sind keine Fiktionen, laufen nicht frei, sondern bleiben an diese – etwas flapsig gesagt – Leitplanken gebunden, wenn sie Anspruch auf Geltung und Verbindlichkeit erheben wollen. Nur weil das so ist, können wir beispielsweise den Holocaustleugner mit Recht einen Holocaustleugner nennen. Damit sind wir noch mal bei dem, was ich Geschichte als Verunsicherung oder absichtsvolle Selbstverunsicherung genannt habe. Man muss die Störung durch auch schmerzende, das ideale Selbstbild ankratzende Überlieferung / Quellen und deren erschließende Analyse wollen. Man muss auch die Störung der Erinnerung in diesem Sinne wollen. Nur dann werden die blinden Flecken der Erinnerung, ihre Ambivalenzen und Nachtseiten verstehbar, verarbeitbar, überwindbar. Es geht um mehr als starre Selbstbehauptung von Erinnerung im Sinne von »da meine Erinnerungen meine sind, sind sie authentisch, darf sie niemand anrühren« und es geht um mehr als die bloße Tolerierung heterogener Erinnerungen. Es geht um die menschliche Möglichkeit, auch Erinnerungen gruppen- und kulturübergreifend gemeinsam zu begreifen, dafür Kompetenzen zu vermitteln und Räume zu eröffnen. Das verweist natürlich auf elementare Anforderungen an die Ausgestaltung von Geschichtskultur und Bildung oder auch Kunst.
JONAS ZIPF: »Wehe, Du sagst jetzt etwas, denn es stimmt nicht.« – Entschuldige bitte.
VOLKHARD KNIGGE: Ja doch, das meine ich. Dagegen steht für mich eben eine Form selbstreflexiv aufgeklärter, auch methodisch bewusster Rationalität, die sich durch Quellen erschüttern lässt. Geschichte, Geschichtsschreibung ist im Grunde ein detektivisches Handwerk. Auf dieser Ebene geht es um konflikthafte, hoffentlich nicht gewalttätige, diskursive Prozesse, in denen man sich über die Bedeutung vergangener Erfahrung für die Gegenwart auseinandersetzt. Das sind aber alles Prozesse, die ich nie unter Kollektivierung von Erinnerung fassen würde.
JONAS ZIPF: Offensichtlich können wir beide uns also auf den Begriff des kulturellen Wissens verständigen. Darin kristallisiert sich der von Dir beschriebene Versuch der Objektivierung und Überprüfbarkeit, der Kriteriengesteuertheit, der Versuch, Erinnerung immer wieder kritisch zu messen an dem, was war, soweit es die Quellen und Faktenlage zulässt. Lass uns noch etwas auf dieser methodischen Ebene bleiben. Mir geht es dabei wieder darum, die Wendung weg von der Vergangenheit hinzubekommen: Wie kann ich aus kulturellem Wissen etwas ableiten, was Grundlagen für die Zukunft bietet?
VOLKHARD KNIGGE: Mit reflexivem Geschichtsbewusstsein!
JONAS ZIPF: Wie verhält sich das reflexive Geschichtsbewusstsein nun aber zu dem, was wir vorher als Wechselspiel zwischen heiß und kalt beschrieben haben? Ich möchte an dieser Stelle noch mal eine andere Denkfigur, ein anderes Bild, einführen. Statt von Temperaturen könnten wir von Tempi sprechen, statt von heiß und kalt von schnell und langsam. Was Du mit Lacan beschrieben hast, das hat damit ganz essentiell zu tun. Eine Denk- und damit Vorgehensweise zu entwickeln, die eben nicht um sich selbst kreist, sich selbst referenziert und sich selbst bestätigt, also verifiziert, sondern die eigene Wahrnehmung und das eigene Denken falsifiziert. Und jetzt komme ich wieder mit der Psychologie: Aus der Hirnforschung ist bekannt, dass tiefes Lernen aus dem Verlassen von eingeübten Pfaden resultiert. Aus dem, was man in der Geisteswissenschaft auch negative Heuristik nennt. Solange ich immer wieder das wiederhole, was ich als bisher vermeintlich erfolgreichen Lösungsweg kenne, dann werde ich an der nächsten Schwelle nicht weiter lernen und nicht weiterkommen. An dieser Schwelle, am Punkt meiner scheiternden, nicht mehr aufgehenden Heuristik, muss ich mich in einen Verunsicherungsraum begeben. So entstehen Erkenntnis und Begreifen. Später auch Kreativität als Hal tung und Innovation als Anwendung. Ich finde es faszinierend, dass sich solche Denkweisen jetzt langsam auch in Wirtschaft und Gesellschaft durchsetzen. Plötzlich geht es nicht mehr um reine Skalierung, um ein Immer-Mehr-vom-Selben. So hat Kahneman als Psychologe den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften gewonnen. Indem er genau das gezeigt hat: Wie sich Phasen von schnellem und langsamem Denken abwechseln.
Ich habe davon viel wiedergefunden in der Zeit, die jetzt unmittelbar hinter uns liegt. Wir befinden ja längst wieder in einer ganz überhitzten Phase der gesellschaftlichen Aktivität und auch der kulturellen und wissenschaftlichen Diskurse. Aber vor kurzem gab es eine Phase in diesem Jahr, meistens gemeinhin Lockdown genannt, in der Vieles zu einer gewissen Ruhe gekommen ist und ein äußerer Zwang eine derartige und vor allem gleichzeitige Verunsicherung mit sich gebracht hat, dass viele Menschen, so scheint mir, in ein Überprüfen ihrer bisherigen Heuristiken gekommen sind. Ob wir daraus große Erkenntnisse ziehen konnten – ich will damit wirklich noch mal ein anderes Kapitel in unserem Gespräch anschneiden – das wird die Geschichte zeigen, das können wir natürlich heute nicht beantworten. Das ist so der übliche Unterschied zwischen einem Soziologen und einem Historiker oder? Das brauche ich einen Historiker nicht fragen. Soziologen würden jetzt schon anfangen, von der Müdigkeitsgesellschaft oder der Sound- so-Gesellschaft zu reden. Das zeichnet sie auch aus, so verwegen zu sein und so mutig, solche Hypothesen, quasi während die Prozesse noch laufen, schon laut zu denken und zu äußern. Bewerten lässt sich das, wie gesagt, erst im Nachhinein. Mich interessiert daran mehr der methodische Punkt: Nicht das, was wir daraus lernen und was dann bleibt, sondern wie es möglich war, dass so viel gedanklich in Wallung gekommen ist. Mir scheint es so zu sein, dass – damit kommen wir dann doch wieder zurück, ich vermeide jetzt den Begriff des Kollektivs, auf eine Form der gemeinschaftlichen Erfahrung – dass es für alle zum gleichen Zeitpunkt oder für annähend alle eine ähnliche existentielle Bedrohung war und ist. Vielleicht ähnlich, sehr assoziativ gesprochen, oder zumindest vergleichbar mit der Erfahrung, dass man selber heutzutage ja nur noch zur Ruhe kommt, wenn man weiß, dass die anderen genau jetzt auch alle pausieren. Der große Unterschied übrigens zwischen deutschen Sommerferien und denen in Italien oder Frankreich, in denen alle zeitgleich voneinander wissen, dass sie gerade nichts tun und – mit Hartmut Rosa gesprochen – nicht verfügbar sind. Wir kennen das höchstens aus der Erfahrung »zwischen den Jahren«, in diesem Zusammenhang übrigens ein sprechender Name. Darin besteht eine Besonderheit dieser Lockdown-Phase. Es betraf und betrifft uns alle. Und das brachte und bringt uns wieder in ein Gemeinschaftsgefühl, wie wir es vielleicht lange nicht hatten. Was ich beschreiben will, worauf ich hinaus will, das ist die Frage nach Gelingensbedingungen für negative Heuristiken. Um mit den Begriffen zu sprechen, die wir uns erarbeitet haben: Gelingensbedingungen im Sinne eines selbstreflexiven Geschichtsbewusstseins, im Sinne von Erkenntnisgewinn an kulturellem Wissen.
Eine Gelingensbedingung – und das ist meine Frage – wäre damit der gemeinschaftlich als existenziell erfahrene Zeitpunkt, die gemeinschaftlich als existentiell erfahrene Not. Du hast ja vorhin auch von 1945 in Deutschland gesprochen. Hast eine der Voraussetzungen für die spätere Geschichtsarbeit damit beschrieben, dass es alle gleichermaßen anging. Ist das also eine mögliche Gelingensbedingung dafür, dass gesellschaftlich sich etwas verändert?
VOLKHARD KNIGGE: Da kann ich zustimmen und muss trotzdem dagegen reden. Ich habe mit Blick auf ’45 nicht von einem Gemeinschaftsgefühl gesprochen. Sondern von einer bestimmten Artikulation fortwirkender Identifikation mit dem NS, die allerdings angesichts des Geschehenen nicht mehr ganz offen ausgelebt, gesagt werden konnte. Die verleugnet, unsichtbar gemacht wurde. Wenn es ein Gemeinschaftsgefühl gab, dann das exkulpierende, auch Opfer von Hitler zu sein, von ihm betrogen worden zu sein. Hierauf wirft eine verbreitete Missrezeption des Buches Die Unfähigkeit zu trauern der beiden Mitscherlichs in den 1960er Jahren Licht. Verbreitet gelesen wird das Buch als Anklage, die Nachkriegsdeutschen würden die Trauer um die jüdischen Opfer verweigern. Es geht aber um die verweigerte Trauer um den Untergang der Identifikation mit dem geliebten Führer und seinem Deutschland. Diese Trauer hätte die Anerkennung dieser Identifikation zur Voraussetzung gehabt und um deren Verlust durch die Niederringung des Nationalsozialismus von Außen zu betrauern, wäre eine Voraussetzung gewesen, sich von dieser Identifikation tatsächlich zu lösen. Ich finde die Ersetzung von Bewusstsein durch Identität und von – in all ihrer Widersprüchlichkeit und Vielfalt – Gesellschaft durch Gemeinschaft eher beunruhigend. Natürlich impliziert Bewusstsein auch Identität, aber es macht doch einen erheblichen Unterschied, ob Identität reflexiv gebildet wird und damit in der Lage bleibt, sich selbst in Frage zu stellen, sich zu wandeln, oder ob sie durch bloße Identifikation mit … gebildet wird. Und es macht einen Unterschied, ob wir uns den sozialen Ungleichheiten, Brüchen und Widersprüchen in der Ge sellschaft bewusst bleiben und an ihrer Überwindung arbeiten, oder ob wir das, was im Sozialen Verwerfungen, Ängste erzeugt, auseinandertreibt, Konflikte, auch sehr aggressive, bewirkt, meinen durch die Konstruktion und Vermittlung von Erinnerungserzählungen heilen zu können. Am Beispiel: die realen Gegensätze in einer Stadt – etwa Berlin – verschwinden nicht durch die Konstruktion einer Berlin-Erinnerung. Ernsthafter Erfahrungsaustausch über soziale und kulturelle Grenzen hinweg ist – um kein Missverständnis aufkommen zu lassen – hingegen etwas anderes. JONAS ZIPF: Pluralismus, Minoritäten, ja.
VOLKHARD KNIGGE: Wir sitzen dort nicht alle im selben Boot.
JONAS ZIPF: Ja, ja.
VOLKHARD KNIGGE: Das ist ganz wichtig. Es geht darum, wie wir Konflikte austragen, ob wir das einigermaßen zivilisiert tun. Ob wir das mit Argumenten tun, oder ob wir das mit Knüppeln tun.
JONAS ZIPF: Und tun wir es zivilisiert? Ich hake jetzt mal zwischen. In der aktuellen Phase des Ringens um Bewältigungsstrategien von Corona: Tun wir es auf zivilisierte Art und Weise?
VOLKHARD KNIGGE: Zu Corona muss ich etwas ausholen. Corona konfrontiert uns elementar mit der Erfahrung von Unverfügbarkeit. Wir beherrschen das Virus nicht. Es macht, zugespitzt, was es will, nicht was wir wollen. Es konfrontiert uns – und zwar unmittelbar in unserer Lebenswelt und nicht weit weg – breit mit Unbeherrschbarkeit; nicht wie bei einer schweren Krankheit als Ausnahmezustand, sondern als Normalzustand. Uns Menschen, die wir meinen alles beherrschen und gestalten zu können. Die wir nach wie vor vom Fortschrittsoptimismus in der Moderne geprägt sind. Corona ist auch keine unterhaltsame Dystopie, die im Kino stattfindet. Das gilt natürlich für andere Krisen und Herausforderungen auch, etwa die Folgen der Erderwärmung auch. Die zeigen sich auch bereits konkret, lassen sich aber noch mehr oder weniger in eine Zukunft verbannen. Corona könnte hier zu einem Lehrstück werden, solche Abschiebungen aufzugeben wie auch die vermeintliche Sicherheit, alles beherrschen zu können. Teleologischen Fortschrittsoptimismus noch umfassender als Blindheit zu begreifen, wäre eine Erfahrungschance dieser Attacke. Und zu begreifen, dass Eigenschutz immer den Schutz des anderen voraussetzt, beinhaltet. Das gilt eigentlich für alle globalen Herausforderungen, früher nannte man das einmal Gemeinwohlorientierung, Solidarität, Fraternité, heute besser Geschwisterlichkeit.
Die Auseinandersetzung mit dem Virus und seiner zerstörerischen Kraft hebt aber auch die Bedeutung von Wissen, Reflexion, kritischer Überprüfung, Kooperation und nicht ökonomisch dominierter Forschung und Austauschs hervor. Es hat mich erstaunt und gefreut, was in der Bundesrepublik und anderen westlichen Ländern bis hierhin auch geschehen ist, was auch an Rationalität möglich war. Auf einmal öffnet sich der Bereich des Naturwissenschaftlichen und man nimmt an Forschungs- und Denkprozessen teil. Und merkt aber auch: Außer dieser bedachtsamen Rationalität haben wir nichts. Es wird uns kein Gott und kein starker Mann von dieser Plage erlösen. Ich habe mich aber auch gefragt, wann kommt das Irrationale? Wann treten die Zauberer auf die Bühne, die Heilsversprecher, die Herren der einfachen Lösung, des Abstreitens. Wann sehen wir die ersten Bewegungen, vielleicht sogar eschatologische Bewegungen in dieser Richtung. Denn der rationale, wissenschaftliche, prüfende, reflektierende, mit Irrtümern behaftete Lösungsweg so einer Krise ist für viele Menschen doch extrem herausfordernd und ungewohnt, erst recht wenn diese Formen der Rationalität zuvor durch einfache »Wahrheiten«, auch Bildungsverschleiß entwertet wurden. Dass es gelungen ist, gleichwohl diesen Weg zu gehen und dass er weitgehend rational und nicht populistisch auch von der Politik mitgegangen und gestaltet worden ist, ist wirklich erfreulich und beispielhaft. Gerade im Gegensatz zum Verhalten von Autoritären, ob sie nun Trump heißen, oder Bolsonaro, oder Orbán, oder Vuc.ic´ in Serbien. Solchen, die meinten, mit der Pandemie und ihren Gefahren politisch weiterspielen, sie politisch instrumentalisieren zu können. Und das sogar um den sehr hohen Preis von vielen Toten und Leid. Ob die Gesellschaft – und das empfinde ich als die größte Herausforderung – klüger wird im Umgang mit Unverfügbarkeit, im Umgang mit narzisstischen Größenphantasien, mit Machbarkeits- und Allmachtsphantasien – etwa mit Blick auf die selbstgemachte Klimakatastrophe – da bin ich mir gleichwohl nicht sicher.
JONAS ZIPF: Ich erlebe die Atmosphäre um uns herum schon eine Weile so, als ob sie sich auf Messers Schneide bewegt. Gerade erscheint es wieder so, als ob die Politik von Gruppen getrieben wird, die Lockerungen wollen. An vielen Stellen wird nicht mehr um einheitliche Standards gerungen, stattdessen die Verantwortung des Pandemie-Ma nagements nach ganz unten auf den jeweils einzelnen Gastronomen, Händler, Kulturveranstalter durchgestellt. Der Föderalismus hält als Folie dafür her, dass man die Seuchenbekämpfung regionalisiert und sonst großzügig lockert. Eigentlich vermeidet man es, gemeinsame Regeln zu verabreden. Wobei doch, und das hast Du ja gerade beschrieben, eine große Mehrheit, bis hierhin zumindest, bereit war, auf sehr rationaler Basis die Maßnahmen mitzutragen. Damit hätten wir die Gelingensbedingung, nach der ich gefragt habe, aber schon bestimmt. Nicht als ein Kollektivmoment oder Gemeinschaftsgefühl, wirklich ein Begriff – und das möchte ich auch noch mal untermauern – der auch mir gefährlich erscheint. Vielmehr lässt sich die Gelingensbedingung als eine gemeinschaftlich erfahrene narzisstische Grenze beschreiben, eine narzisstische Kränkung, wenn wir jetzt noch mal bei Freud bleiben. Die Menschen dachten, sie wären im Anthropozän angelangt und könnten jetzt sozusagen alles selbst bestimmen. Jetzt kommen gleich mehrere, sehr schnelle Erfahrungen bei vielen Menschen auch breitenwirksam an, die zeigen: Hier erreicht unsere Entwicklung Grenzen des Menschen-Machbaren: Stichwort Klimawandel und jetzt noch eine Pandemie. Damit ist vielleicht die Voraussetzung einer kollektiven Bescheidenheit erreicht, die uns vernünftig und rational werden lässt, weil wir einfach schlechterdings nicht anders können, als sozusagen irgendwie da durchzukommen. Das beschreibt übriges der vorhin genannte Camus in der Pest mustergültig, wie eine Stadtgesellschaft durch so ein Nadelöhr durchgehen muss.
Aber wie gesagt: Ich bin mir nicht sicher, ob diese Stimmung nicht noch kippt. Schon im Gespräch mit Bernhard Maaz vor mehreren Wochen schien uns dieser Punkt erreicht. Und immer noch habe ich die größte Sorge. Bis hierhin lief es bei uns ganz gut, getragen von einem öffentlichen Diskurs – Du hast das gesagt – erstaunlich gut. Erstaunlich rational, erstaunlich vernünftig. Es sind erstaunliche Dinge passiert. Naturwissenschaftler mussten zugeben, dass Eins plus Eins nicht immer gleich Zwei ist. Dass sie etwas nicht wissen, da das Virus nicht auserforscht ist. Man kann plötzlich schlauen Menschen beim Denken zuhören. Das, was sonst Kultur- und Geisteswissenschaftlern überlassen wird und mittlerweile gerne als Bestandteil der Unterhaltung in Talkshows abgeschoben wird. Das halte ich für eine heilsame Erfahrung: Dass Vieles nun einmal nur iterativ beschrieben werden kann, kontingent und im Prozess. Aber im Moment bin ich mir sehr unsicher, ob wir nicht längst am Kippmoment nagen.
VOLKHARD KNIGGE: Das bin ich auch. Für mich war interessant, dass Na turwissenschaftler in eine vergleichbare Situation kommen, wie Historiker in Bezug auf die Erinnerungskultur. Sie werden nämlich mit politischen Erwartungen und Wünschen, ergebnisorientierten Wünschen …
JONAS ZIPF: … »Sag mir, was ich machen soll.« …
VOLKHARD KNIGGE: … konfrontiert. Erstens: »Sag mir, was ich machen soll«, aber zweitens auch: »Bestätige mich in dem, was ich schon machen will.« Legitimiere meine politischen Ziele, liefere mir ein passendes Geschichtsbild, Argumente – in Anführungsstrichen – aus der Geschichte. Das ist …
JONAS ZIPF: … noch fieser, ja …
VOLKHARD KNIGGE: Ja, das ist das Fiesere.
JONAS ZIPF: Ja.
VOLKHARD KNIGGE: Um das noch mal aufzumachen im Vergleich: Was heute schlagwortartig Erinnerung genannt wird, hieß früher eigentlich Gesinnung. Geschichte war lange ein Gesinnungsfach, genauso wie Religion. Im Wilhelminismus, im Nationalsozialismus, in der DDR. Es zielte auf die Identifikation mit Staat und Obrigkeit, mit dem vermeintlichen Volk. Fraglose Loyalität war ein Hauptziel. Und in diesem Sinne eine hermetische, immer auch gegen andere gerichtete Identität. Mit Pomp, historischen Feiern und Inszenierungen, Pädagogiken des Einbläuens und der Faszination versuchte man die Setzung von Gesinnung und ihre Verbindung mit Macht und Herrschaft zu verschleiern. Sie als natürlich erscheinen zu lassen. Dass das überwunden werden konnte, ist eine große politische und kulturelle Leistung, nicht zuletzt angestoßen durch die wahrhaftige Auseinandersetzung mit den politischen Katastrophen und Verbrechen, die durch eine solche Form der »Geschichtskultur« mitverursacht und auch nachträglich gerechtfertigt worden sind. Demokratische Kultur ist auf der Basis von Gesinnung, Gesinnungsprägung nicht möglich. Das wäre ein Widerspruch in sich. In der Pandemie gab es den Moment, wo es auch Virologen – Stichwort Bildzeitung / Drosten – an den Kragen ging. Es ließ sich erkennen, wie Virologen – ich denke an die drei Hauptakteure aus Berlin, Halle, Bonn – wenn nicht Druck, dann doch politischen Wünschen ausgesetzt waren und wie sie darauf reagierten, etwas pathetisch formuliert: zwischen Standhalten und Anschmiegsamkeit. Und da sind wir bei etwas, was Dir, glaube ich, auch sehr wichtig ist, soweit ich Dich kennengelernt habe: Hier geht es immer auch darum, sich nicht zu beugen. Autonomie, wissenschaftliche, künstlerische, als Voraussetzung für und als ein Forum nicht instrumentalisierten Probehandelns oder nichtinstrumentalisierter Erkenntnisgewinnung zu verstehen, sie immer wieder zu verteidigen. Und dann aber auch Wollen und Auszuhalten, was man nicht bekommt, nämlich eine absolute, sofortige Lösungssicherheit und – womöglich – brandenden Applaus. Wohin das jetzt geht? – Ich weiß es nicht. Ich würde es natürlich begrüßen, dass Politik jetzt diejenigen, die rational und vernünftig sind, stützt, und das waren, sind ja, wie gesagt, erstaunlich viele, die Mehrheit. Es hat mich wirklich erstaunt, wie hoch der Anteil derjenigen war, der etwa sagt: »Ja, masken tragen ist lästig, aber muss sein«. Es müsste darum gehen, diese 80 Prozent zu stützen, anstatt sich von den 20 Prozent treiben zu lassen, die man nie wird zur Vernunft bringen können.
JONAS ZIPF: So schon gar nicht.
VOLKHARD KNIGGE: Ja. Historiker sind natürlich, weil sie immer eine Langzeitperspektive haben, nicht wirklich, gerade auch nach der Erfahrung des extremen 20. Jahrhunderts, zu vorauseilendem Optimismus begabt. Dass Krisen in jedem Fall erziehen und besser machen: Auch das ist leider widerlegt. Und Geschichte liefert auch keine Rezeptweisheiten. Auch dieser Glaube ist durch historische Erfahrung überholt. Meine Überzeugung ist aber die, dass wir an historischer Erfahrung lernen können, was man besser nicht tut, damit Gesellschaften und Menschen ihren humanen Atem, ihre Zivilität, ihre Begabung zum Guten – entschuldige das der Verkürzung geschuldete Pathos – nicht verlieren. Noch einmal Freud, der von der Erfahrung des Ersten Weltkriegs tief erschütterte Freud, der die Frage, ob der Mensch gut oder böse sei, abweist mit dem Hinweis auf die Plastizität, auf die Formbarkeit des Menschen. Ob er gut oder böse wird, handelt, liegt ganz wesentlich an den Rahmenbedingen, den politischen, sozialen, kulturellen, denen des Rechts oder der Bildung, die ihn prägen. Lernen an historischer Erfahrung, was man besser nicht tut, geht deshalb über personales Handeln hinaus und zielt dementsprechend auch auf die Ausgestaltung von Staat und Gesellschaft, auf die Rahmenbedingungen.
JONAS ZIPF: Ja.
VOLKHARD KNIGGE: Die neue Herausforderung, die Antwort kann nicht darin bestehen, dass wir die Schrecken der Vergangenheit immer größer malen im Sine einer Schockpädagogik mit übergroßem moralischem Zeigefinger. Das ist schon in der DDR schiefgegangen. Es erschreckt sich niemand an einem Schrecken, der als endgültig vorbei gilt. Solch toter Schrecken wird in der Erlebnisgesellschaft schnell zum Horror-Disneyland mit wohlfeilem, unterhaltsamen Gruseln. Eher geht es doch darum, sich klarzumachen, dass man sich selber in ähnliche Situationen bringt, wenn man eben diese Lektionen nicht ernst nimmt. Eben nicht ernst nimmt, was man besser nicht tut. Etwa zu behaupten, Menschen seinen ungleich an Würde. Sie dann auch noch dementsprechend zu entrechten und zu verstoßen, wie im Nationalsozialismus mittels der Nürnberger Rassegesetze. Wo es keine Grundsolidarität mit dem Menschen als Menschen mehr gibt, ist der Gewalt Tür und Tor geöffnet. Oder Bildung zu verkürzen auf die Vermittlung nur instrumenteller Fähigkeiten je nach Augenblicksbedarf. Oder kulturelle Freiräume einzuengen, in denen Probehandeln, auch Probehandeln in Bezug auf die Verhinderung menschengemachter Katastrophen, nicht mehr möglich ist. Das wäre für mich zum Beispiel das Theater: Wir hätten nichts gelernt, wenn wir zuließen, dass Freiräume dort ganz einfach wieder einschränkt werden – die AfD will das ja – und Spielpläne so gestaltet werden, dass sie wieder einer völkischen Gemeinschaftsidentität verpflichtet sind. Die Herausforderung heute besteht darin, dass wir – und das würde uns von der DDR unterscheiden – dass wir auch mittels unseres historischen Bewusstseins Affirmation
– etwa der Demokratie – und Kritik zusammenbringen, beides leisten. JONAS ZIPF: Was bleibt uns anderes übrig? In der Krise – es ist ja nun mal eine Krise – liegen Risiko und Chance, ja. Und ich bleibe auch dabei: »Vergessen wir nicht – die Psychoanalyse!«, heißt es so schön in einem Buchtitel von Derrida. Das hat uns jetzt während des ganzen Gesprächs wie ein roter Faden oder Kammerton begleitet. Man würde sich nicht auf eine Analyse einlassen, wenn nicht die Hoffnung bestünde, dass daraus etwas Neues entsteht. Tatsächlich gehört aber zu so einer Öffnung eben auch das Inkaufnehmen des Risikos, das die Analyse schiefgehen kann. Das erfordert Mut. Sonst brauche ich mich gar nicht erst in diese offene Situation zu begeben. Jetzt sind wir es zwangsweise. Deswegen sage ich: Was bleibt uns anderes übrig, als dafür zu streiten, daraus zu lernen. Tatsächlich ist es so, dass der Eindruck vorherrscht – so geht es mir auch – dass eine, wenn auch äußerst heterogene und offensichtlich nicht mehrheitsfähige, so aber dennoch erschreckend große Gruppe der Bevölkerung eine Wirkmacht gewonnen hat, die den anderen quasi fast gleichsam ex negativo vorgibt, wie sie ihren Diskurs zu gestalten haben. Das kann nicht sein. Da müssten wir wahrscheinlich wirklich endlich aussteigen aus der Frage, wie können wir die jetzt wieder zurückholen. Da müssen wir die Grenze klar ziehen, ganz klar. Und das stark machen, was es überhaupt erst ermöglicht, dass wir alle laut denken dürfen. Nur wenn diese Grundregel von Allen getragen wird, leben wir noch in einer offenen Gesellschaft und Demokratie.
Und da hast Du gerade, glaube ich, einige wichtige Dinge beschrieben: Die Unabhängigkeit – als wesentlicher Unterschied und, in der Art und Weise, wie diese von unserer Verfassung garantiert wird, möchte ich an der Stelle schon stark machen: als geschichtlichen Fortschritt – die Unabhängigkeit von Organen oder Institutionen, der Wissenschaft und der Kunst, die gewährleisten können, dass es bei Pluralismus und offener Gesellschaft bleibt. Oder das diese sich zumindest weiterentwickeln können, dass ihr Schutzraum nicht angetastet wird. Ich hoffe es zumindest. Denn wir sind in einer sehr kritischen Situation, was das anbelangt. Äußere Faktoren haben auch zu anderen – ich als Pseudo-Historiker darf das, glaube ich, sagen – auch zu anderen Zeiten dazu geführt, dass darunterliegende Bedürfnisse sich dann durchsetzen konnten. Es brauchte manchmal noch Anlässe wie eine Pandemie oder Weltwirtschaftskrise, damit gesellschaftliche Transformationsprozesse auch ins Negative kippen. Wir sind gefährdet. Die Bestimmung oder vor allem negative Kritik an dem, was Erinnerung ist, lässt sich, glaube ich, strukturell durchaus vergleichen mit dem, was wir rund um die Corona-Krise benannt haben. Daraus jetzt etwas zu lernen, was quasi normativ als Erkenntnis zu beschreiben wäre, wäre genauso eine imaginäre, harmonisierende Verkürzung. Stattdessen muss es offenbleiben und verunsichern. Genau darin besteht die Qualität der Gespräche, die ich führe. So auch mit Dir. Das ist sozusagen ein lautes, offenes Denken. Und das war heute hier möglich. Es ist das letzte Gespräch in einer Reihe, die in ein Buch mündet. Es hat begonnen damit, dass ich spontan mit Hartmut Rosa in ein Gespräch kam, am Telefon, zwischen Tür und Angel. Und zwar noch in physischer Abwesenheit. Das heutige Gespräch ist das letzte und das einzige, was in physischer Kopräsenz stattfinden konnte. Alle anderen entspannen sich am Telefon. Wir beide konnten hier sitzen und unseren Espresso schlürfen. Uns geht es nicht schlecht. Ich ziehe zwar jetzt schon die Nase hoch, muss deswegen aber noch lange nicht zum Corona-Test. Und bedanke mich bei Volkhard Knigge für den Gedankenaustausch …
VOLKHARD KNIGGE: … Ja, danke, gleichfalls.
JONAS ZIPF: Ein Pas de deux in der Anderthalbmeter-Gesellschaft.
VOLKHARD KNIGGE: Wenn ich eins noch gerade sagen dürfte? Ich habe ja sehr gegen soziale Widersprüche ignorierende und unbearbeitet lassende Gemeinschaft, wie soll ich sagen, angeredet. Gegen Gemeinwohl würde ich nicht anreden. Und ich glaube, das steckte in unserem Gespräch, schwang die ganze Zeit mit. Wir erleben zwar auf der einen Seite die Erfahrung der Unverfügbarkeit und dass man etwas nicht wegzaubern kann, auch Experten es nicht wegzaubern können. Andererseits sind wir aber auch dazu eingeladen, geradezu davon herausgefordert, Eigenschutz und Schutz Anderer, Selbstsorge und Fürsorge nicht mehr zu trennen. Das fließt ineinander. Wenn man das begriffen hat, dann steckt in dieser Corona-Krise etwas außerordentlich Wertvolles. Und das hat was mit Solidarität zu tun.
JONAS ZIPF: Lass uns beim Gemeinwohl bleiben. Gemeinwohl ist der schönere Begriff, da er den Gemeinschaftspart in sich trägt, Solidarität ist ein Wert. Und Gemeinwohl beschreibt nämlich noch etwas, was wir mit Allmende oder Commons auch beschreiben, dass uns nämlich klar wird – vielleicht auch inmitten dieses Ohnmachtsgefühls – was uns bleibt.
VOLKHARD KNIGGE: Ja.
JONAS ZIPF: Was haben wir noch? Luft, Licht, den Boden, kulturelles Wissen. Also die Gemeingüter, ja. Das ist die Grundlage, mit der wir arbeiten müssen, unsere einzige Chance.
Volkhard Knigge, geb. 1954 in Bielefeld, Historiker, Geschichtsdidaktiker, Ausstellungsmacher. 1986 geschichtsdidaktisch-psychoanalytische Promotion zu „trivialem“ Geschichtsbewusstsein. Wiss. Mitarbeiter an der Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg, dem Kulturwissenschaftlichen Institut des Wissenschaftszentrums NRW und der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Lehrstuhl Prof. Dr. Lutz Niethammer). 1994 Berufung zum Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, ab 2008 auch Lehrstuhl für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit an der FriedrichSchiller-Universität Jena. Neukonzeption der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Zahlreiche Forschungskooperationen und Ausstellungen zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, gesellschaftliche Funktionen und Gremienmitgliedschaften, nationale und internationale Auszeichnungen.
Im November sind alle Jenaer Corona-Gespräche in diesem Sammelband im Verlag Theater der Zeit erschienen. Das Büchlein ist auch in den einschlägigen Jenaer Buchhandlungen zum Preis von 18 Euro zu erwerben.
Haben Sie unsere Corona-Gespräche verfolgt? Zugegeben, sie sind umfangreich, deshalb ist die Lektüre im Buch sicher leserfreundlicher. Dennoch möchten wir gern wissen, sollen wir sie fortsetzen.