Die Stadtteilbibliothek Lobeda der Ernst-Abbe-Bücherei Jena (EAB) versorgt seit nunmehr 44 Jahren Jenas größten Stadtteil mit Medien. Seit 2020 leitet Anke Mehlhorn-Komlossy diesen einzigen Außenstandort der Stadtbibliothek. Über die Rolle der Bibliothek in Lobeda spricht sie mit Julia Hauck, Agentin für Diversität und Interkulturelle Bibliotheksarbeit.
Was ist das besondere an der Stadtteilbibliothek Lobeda?
Das Besondere ist, dass sie direkt am Ort ist, da wo sie gebraucht wird. Sie ist beispielsweise auch für diejenigen da, die nicht so viel Geld und Möglichkeiten haben, in ihrer Freizeit etwas zu unternehmen oder sich zu informieren. Es ist wichtig, dass sie einfach auf einem kurzen Weg bei uns sein können. Das Besondere an unserer Bibliothek ist auch, dass wir unsere Besucher:innen sehr gut kennen, dass wir wirklich sehr eng zusammenarbeiten und ganz gezielt auf die Bedürfnisse der Menschen vor Ort eingehen können. Als Ende letzten Jahres der Gedanke einer Schließung aufkam, haben sich so viele Menschen mobilisiert und eine Unterschriftenpetition unterschrieben oder uns darauf angesprochen. Den Besucher:innen ist bewusst geworden, dass die Bücherei nicht selbstverständlich ist und dass man sie erhalten muss. Das hat uns so einen Aufschwung für unsere Arbeit gegeben. Es wurde sehr deutlich, dass die Bibliothek von den Menschen als sehr wichtig und sinnvoll wahrgenommen wird.
Und gibt es da einen Unterschied zur Stadtmitte?
Der Unterschied ist, glaube ich, dass die Leute in Lobeda sich ein bisschen benachteiligt fühlen im Gegensatz zur Stadt, und dass die drohende Schließung sie deswegen besonders geärgert und aufgeregt hat.
In dem kürzlich gesendeten Radio-Beitrag über die Stadtteilbibliothek Lobeda auf Deutschlandkultur wurde ja auch der Bildungsbericht der Stadt von 2018 erwähnt, in dem Lobeda als Stadtteil mit „besonderem (…) Entwicklungsbedarf“ bezeichnet wurde.
Im Zentrum Jenas gibt es viele tolle Projekte, z. B. den Bibliotheksneubau. Und da fragen sich die Menschen in Lobeda dann manchmal: „Was ist eigentlich mit uns? Wir sind hier draußen. Wir sind immerhin 22.000 Einwohner:innen.“
Was kommen denn für Menschen in die Bibliothek in Lobeda?
Das Publikum ist ziemlich vielfältig. Da sind Schüler:innen, die schon mit der Schule oder kita bei uns waren. Die kommen mit ihren Lehrer:innen oder werden auch von ihnen angeregt, zu uns zu kommen. Es besuchen uns auch viele ältere Menschen − unsere treuesten Leser:innen, die regelmäßig kommen. Auch junge Familien kommen mit ihren Kindern, weil wir für jede Altersgruppe Medien hier haben. Einige unserer Besucher:innen stammen aus dem Ausland oder haben eine (familiäre) Migrationsgeschichte.
(Anmerkung: Lobeda ist laut dem Migrationsbericht der Stadt 2019 das Zuhause von fast einem Fünftel aller Ausländer:innen in Jena. Nahezu ein Drittel der Kinder in den Lobedaer kitas haben einen sogenannten Migrationshintergrund. In Lobeda leben Studierende aus vielen Nationen, aber auch ein Großteil der (Spät-)Aussiedler:innen, die in den 1990er und 2000er Jahren nach Jena kamen.)
Es kommen auch viele Leute aus dem Umland zu uns, weil sie hier besser parken können als in der Stadt. Und dann gibt es natürlich auch diejenigen Leser:innen, die im Klinikum arbeiten, und nach der Arbeit bei uns vorbei kommen.
Das ist eine bunte Mischung. Wie sähe denn „eine Bibliothek für alle“ aus? Ihr seid ja da schon nah dran. Was braucht es dafür, dass man so viele verschiedene Menschen glücklich macht?
Also erst einmal müsste Corona vorbei sein. Das sind ja besondere Umstände, unter denen wir seit mehr als einem Jahr arbeiten. Wenn es wieder möglich ist, möchten wir gern ein Raum sein, wo die Leute gern hinkommen. Die Stadtteilbibliothek soll ein Ort sein, wo sie ohne viel Aufwand oder ohne irgendwas bezahlen oder beantragen zu müssen, hingehen sowie sich bei uns aufhalten und sich treffen können. Es soll wieder möglich sein, dass Familien bei schlechtem Wetter einfach vorbei kommen und hier mit ihren Kindern spielen. Jugendliche sitzen im Sitzsack und lesen Comics oder Mangas. Von den räumlichen Bedingungen ist es bei uns zwar nicht ganz so modern wie in anderen Bibliotheken, aber wir versuchen, aus unseren Möglichkeiten das Beste zu machen. Ich denke da auch an unser Team hier: Wir versuchen, jedem Menschen das Gefühl zu geben, dass er oder sie wirklich willkommen ist und uns auch gerne ansprechen kann. Wir werden ja laufend in Bezug auf Vielfaltssensibilität geschult (durch die Teilnahme der EAB am Programm „360° − Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft“. Ich finde das auch wichtig, sich zu reflektieren und Neues zu lernen, bspw. dass man mit der Wortwahl bewusster umgeht. Wir wollen die richtigen Signale senden: „Hier ist ein Ort, wo ich hingehen kann. Hier bin ich sicher. Hier bin ich auch willkommen.“
Ihr seid ja auch wirklich nah dran an den Leuten. Ihr kennt eure Leser:innen und seid ja auch nur zu dritt vor Ort. Da kennen euch mehr oder weniger alle und umgekehrt. Wieder zurück zur aktuellen Situation. Gibt es eine bestimmte Erkenntnis der letzten Monate, wie sich das Leben in Lobeda und das Arbeiten in der Bibliothek verändert hat?
Wir haben wahrscheinlich alle gemerkt, wie schnell sich Dinge, die als selbstverständlich betrachtet werden, ändern können und wie das Leben von einem Tag auf den anderen auf den Kopf gestellt werden kann. Das habe ich bisher vergleichbar nur zur Wende erlebt. Das war auch eine Situation, wo Sachen passiert sind, die man vorher nicht hätte glauben können. Genauso kommt mir das jetzt auch vor. Meine Hoffnung ist immer noch, dass durch dieses Ergebnis der Zusammenhalt unter den Menschen enger geworden ist. Dass uns klar geworden ist, was das Wichtigste im Leben ist: Gesundheit, Zusammenhalt und dass man sich nicht durch die äußeren Bedingungen aus der Kurve werfen lässt. Das habe ich auch bei vielen Leser:innen bemerkt, gerade bei Älteren. Sie haben uns berichtet, wie schwer es auch für sie war mit der Einsamkeit und den Abstandsregeln, aber auch wie sie versucht haben, damit umzugehen und sich nicht unterkriegen zu lassen.
Meine Erfahrung in der Corona-Zeit war: Dass ich persönlich – als Bibliotheksneuling – vielleicht ein bisschen unterschätzt habe, wie wichtig und krisenfest Bibliotheken sind. Man muss sich in Geduld üben und lernen, mit der Unsicherheit umzugehen, wann und wie es weiter geht. Es wurde auch deutlich, dass die Medien-Ausleihe als Angebot nur das Minimum der „Bibliotheksleistung“ darstellt. Es fehlen Führungen, Veranstaltungen, Gespräche und der direkte Dialog mit den Besucher:innen.
Ich hoffe auch, dass wir bald wieder Veranstaltungen machen können – im Sommer; dass die Leute das hoffentlich dankbar und freudig annehmen werden.
Was sind die Pläne für die Zukunft, für die nächsten Jahre?
Zum einen wünsche ich mir, dass wir wieder Normalbetrieb haben. Wir hatten ja lange leider nur einen Bestell- und Abholservice. Es ist schön, dass die Leute ab Dienstag wieder zu uns rein dürfen und sich wieder selber am Regal ihre Medien aussuchen können. Der nächste Schritt wäre dann, dass man sich wieder aufhalten darf, auch wieder die PCs nutzen könnte. Es gibt immer noch viele Menschen, die darauf angewiesen sind, da sie zu Hause die Möglichkeit nicht haben. Wir haben ja auch Wlan und die Kinder wollen wieder am Computer spielen. Das wäre ein wichtiger Punkt. Und als nächstes hoffen wir, dass Veranstaltungen wieder stattfinden dürfen und dass die Schulen und kitas wieder zu uns kommen können.
Wir wollen auch etwas umräumen und Medien anders präsentieren. Es macht sehr viel aus in Bibliotheken, wo die Sachen stehen und wie sichtbar sie sind. Vielleicht bekommen wir mittel- bis langfristig auch eine Renovierung, sodass wir die Räume moderner gestalten können. Zudem möchten wir vermehrt mit verschiedenen Institutionen und Vereinen aus Lobeda zusammenarbeiten. Es sollen neue Kontakte geknüpft und die bestehenden Kooperationen, wie beispielsweise mit den Schulen, gefestigt werden. Vielleicht schaffen wir es auch, den halbrunden Platz vor der Bibliothek für Freiluftveranstaltungen zu nutzen. Mir ist wichtig, dass wir vor allem auch für Kinder und Familien, die nicht so viele Möglichkeiten haben, in Lobeda etwas bieten.
Ich wünsche mir einfach für die Zukunft, dass wir im Bewusstsein der Menschen in Lobeda ein positiver Ort sind, ein angenehmer Raum, also ein Zentrum, in dem viel passieren kann und wo sie vielleicht auch selber Ideen einbringen und uns Anstöße geben können. Die Stadtteilbibliothek Lobeda soll einfach sehr lebendig und fröhlich sein.
Anmerkung: Die Stadtteilbibliothek Lobeda finden Sie in der Platanenstraße 4, 07747 Lobeda. Ab kommenden Dienstag (15.06.21) ist die Bibliothek wieder für Besucher:innen (mit Kontaktnachverfolgung) geöffnet. Mehr Informationen dazu unter: www.stadtbibliothek-jena.de oder telefonisch unter 03641 331452.
Mehr zu den interkulturellen Angeboten der Ernst-Abbe-Bücherei Jena, auch in Lobeda, finden Sie in einem früheren Blog-Beitrag.
Und Sie, liebe Leser:in? Nutzen Sie die EAB oder ihre Zweigstelle in Lobeda? Wie empfanden Sie die Debatte im Rahmen des Haushaltssicherungskonzeptes Anfang des Jahres?