Derzeit wird im Stadtmuseum Jena der Jenaer Keramikerin Ulli Wittich-Großkurth eine Sonderausstellung zu ihrem Lebenswerk gewidmet. Gezeigt werden Objekte aus über 70 Jahren Schaffenszeit.
In diesem Gastbeitrag wird Doris Weilandt, Kuratorin der Ausstellung und langjährige Freundin der Künstlerin, den Lebensweg von Ulli Wittich-Großkurth vorstellen, mit besonderem Fokus auf die Phasen ihres künstlerischen Werdegangs.
Über Ulli Wittich-Großkurth in Jena zu sprechen, heißt Eulen nach Athen tragen. Aber so überflüssig ist es nicht, sich mit dem Werk der Grand Dame der Keramik zu beschäftigen. Viele Jüngere wissen wenig über ihre Arbeiten und für die Kenner:innen hält die Ausstellung im Jenaer Stadtmuseum einige Überraschungen bereit. Ihr gesamtes Werk ist geprägt von einer unbändigen Experimentierfreude und Ausdruckskraft, die bis ins hohe Alter anhält. Doch dazu später, beginnen wir von vorn.
Einen großen Einfluss auf die Entscheidung, einen kreativen Beruf zu erlernen, hatte die Universitätsschule Jena, in der Ulli Wittich-Großkurth ihre Schulzeit verbrachte. Der Reformpädagoge Peter Petersen erprobte an dieser Versuchsschule seinen Jena-Plan. Im Gegensatz zu den Volksschulen hatten die Schüler dort die Möglichkeit, sich nach den eigenen Fähigkeiten zu entwickeln. Ulli Wittich-Großkurths künstlerisches Talent konnte sich frei entfalten. Das führte sie zu einer Töpferlehre nach Bürgel in die Werkstatt von Walter Gebauer. Auf dem Gebiet der Gefäßkeramik gehörte er zu den namhaftesten Töpfermeistern der DDR. Ihm verdankt die Keramikerin nicht nur das hohe Niveau des Drehens und Brennens, sondern auch die Kenntnis im Mischen von Glasuren, von Eigenschaften und Besonderheiten. 1950 schloss sie die Gesellenprüfung ab und ging nach Erfurt an die damals noch existente Fachschule für angewandte Kunst. Nach drei Jahren kehrte sie zu Walter Gebauer zurück, da sich ihre Erwartungen in Erfurt nicht erfüllt haben. Ihr nächstes Ziel: die Meisterprüfung. Die Bodenvase, die in der Ausstellung zu sehen ist, war Teil der eingereichten Kollektion. Auf der Leipziger Messe gewann sie damit eine Goldmedaille und die Aufmerksamkeit der Keramikszene. Das Interesse an ihrer Arbeit ermunterte sie, 1957 den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen und eine eigene Werkstatt in der Jenaer Ahornstraße zu eröffnen. Es brauchte nicht lange, bis sich ihr Name als Synonym für gute Keramik herumgesprochen hatte. Die Schlangen am einzigen Verkaufstag der Woche waren mehr als 100 Meter lang. Das konnte sie nicht lange durchhalten. Die Anerkennung als Kunsthandwerkerin und die Aufnahme in den Verband Bildender Künstler öffneten ihr die Türen zu den Galerien des Staatlichen Kunsthandels der DDR.
Nach einer Phase mit strengen Formen, geometrischen Mustern und Kerbdekoren erfand sich Ulli Wittich-Großkurth 1973 neu. Gefäße wurden fortan als Plastik wahrgenommen und bildhaft geformt. Auslöser die Veränderung war die Teilnahme am internationalen Keramiksymposium im südungarischen Siklós. Noch heute spricht die Keramikerin von einer künstlerischen Explosion, wenn sie an die Wochen zurückdenkt. Die „Wickeltechnik“, die sie dort für sich entdeckt, ermöglicht ihr eine nahezu unbegrenzte Gestaltungsvielfalt. Um Schalen, Vasen, Flaschen, Dosen und Spiegel winden sich filigrane Schleifen und Bänder mit großer Leichtigkeit. Tauben lassen sich auf Bildern und Köpfen nieder. Im Schaffensprozess von Ulli Wittich-Großkurth entfaltete sich barocke Opulenz.
In der Ausstellung wird ein Gefäß mit dem Titel „Aufbrechende Form“ vorgestellt. Dieses Objekt ist der Schöpfungsakt, mit dem sich die Keramikerin von der reinen Drehform löst. Wie bei einer Knospe öffnen sich die Blütenblätter. In sanften Schwüngen legen sie sich um den Körper und geben die Mitte frei. Von dort reckt sich ein schlanker Hals nach oben. Die Ränder der Blütenblätter, die sich nach außen rollen, sind dunkel eingefärbt. Ulli Wittich-Großkurth arbeitet mit einer Mangan-Kupfer-Glasur, die ihr vielfältige Grün-Grau-Schwarz-Abstufungen gestattet.
Mit der neuen Technik wagte sich die Keramikerin in den Bereich der baugebundenen Kunst vor. Öffentliche Aufträge ließen nicht auf sich warten. Innerhalb weniger Jahre realisierte sie Innenausstattungen für Läden in den Neubaugebieten in Lobeda-West und Gera-Lusan. Dort gestaltete sie auch einen Brunnen, in dessen Zentrum die Figur der Thüringer Kloßmarie stand (Modell in der Ausstellung). Ein großer Brunnen entstand für den Platz der Kosmonauten in Jena (heute eichplatz, zerstört), der das für die Künstlerin typische Formenrepertoire enthielt: anschwellende Fruchtkapseln, üppige Blütendekorationen und Tauben, die Wasser speien, das in Schalen aufgefangen wird. In unmittelbarer Nähe gab es einen weiteren Brunnen, in dessen Zentrum ein Liebespaar stand (zerstört).
Für die ehemalige Klinik für Innere Medizin in Jena-Lobeda schuf Ulli Wittich-Großkurth eine „Dekorative Wand“ von zehn Metern Länge (Klinik abgerissen, Wand existiert noch). Von ähnlicher Größe ist die „Baumlandschaft“ für das Foyer des FDGB-Bundesvorstandes in Berlin (heute Chinesische Botschaft). Jenaer:innen aller Generationen kennen das plastische Bild „Froschkönig“ im Vestibül der Universitäts-Kinderklinik in der Westbahnhofstraße, das inzwischen in die neue Kinderklinik in Lobeda umgezogen ist. Szene für Szene inszeniert die Künstlerin das Märchen als fortlaufende Geschichte. Liebevoll behandelt sie dabei auch kleinste Details wie die Schlossküche, die sich jedem Kind eingeprägt hat.
Anlässlich des 300. Geburtstages des Porzellanerfinders Johann Friedrich Böttger lobt die Meißner Porzellanmanufaktur einen Wettbewerb aus, zu dem Ulli Wittich-Großkurth eingeladen wurde. Das weckt in ihr erneut die Freude am Experiment mit neuen Materialien. Die Formen beruhigen sich, werden reduzierter, die Objekte abstrakt. Auch durch die Beschäftigung mit Keramik im Freibrandofen beschränkte sich die Künstlerin auf die Schönheit der Gefäßkörper mit Spatglasur.
Am Ende der DDR schuf Ulli Wittich-Großkurth die Plastik „Totenstadt“. Der Titel bezieht sich auf eine Nekropole, eine eigens als Begräbnis- und Weihestätte gebaute Siedlung. Das Schiff mit mehrstöckigem Aufbau ist mit aufgedruckten Inschriften verziert. Ganz offensichtlich verbindet sich mit der Plastik das Nachdenken über die schwere Zeit für freiberufliche Keramiker, die wie die meisten Künstler nach 1990 Auftraggeber und Kunden verloren haben.
„Fühlst du nicht an meinen Liedern / Dass ich Eins und doppelt bin?“, fragt Goethe in dem Gedicht Ginko biloba. Ulli Wittich-Großkurth entdeckte das Ginkoblatt in ihrem Spätwerk. Geometrische Grundformen wie Kreis und Würfel umspannt sie mit Blättern und Früchten des aus China stammenden Baumes, dem so viele besondere Eigenschaften zugesprochen werden. Die Mangan-Kupfer-Glasur veredelt diese Objekte und verleiht ihnen den Anschein von Patina, natürlicher Alterung.
Wir danken der Kuratorin Doris Weilandt für diesen tiefen Einblick in das vielseitige Schaffen und Leben von Ulli Wittich-Großkurth!
Jetzt sind Sie, liebe Leserinnen und Leser bestimmt gespannt darauf, wie die Werke in ihrer Plastizität wirken, und welche Schaffensphase sie in den Stücken wiedererkennen können. Dann nutzen Sie die Chance – die Ausstellung ist noch bis zum 3. September 2023 im Stadtmuseum Jena zu sehen. Weitere Informationen finden Sie unter: www.stadtmuseum-jena.de
Welches Werk hat Ihnen besonders gut gefallen? Welches Fragen zurückgelassen? Kennen Sie die großformatigen Arbeiten vielleicht sogar noch aus dem Jenaer Stadtbild? Berichten Sie uns davon in den Kommentaren!