Jena – die Lichtstadt. Der Name kommt nicht von ungefähr. Carl zeiss, ein Wegbereiter der modernen Optik, und das von ihm gegründete Unternehmen zeiss sind untrennbar mit Jena verbunden. So sieht das auch Dr. Michael Kaschke, langjähriger Vorstandsvorsitzender der Carl zeiss AG (2011 – 2019). Im Interview spricht er über seine Studienzeit in Jena, die Anfänge des heutigen Weltunternehmens und seine Zukunftsvision für den Standort Jena.
Sie haben in Jena – dem Geburtsort der Marke zeiss – Physik studiert.
War es da fast schon vorbestimmt, dass Sie einmal für zeiss tätig sein werden?
Für mich war der gute Ruf der Universität ausschlaggebend dafür, in Jena Physik zu studieren. Mit dem Unternehmen zeiss kamen wir Studierende während des Physik-Studiums über die Messgeräte für Optik ein wenig in Berührung. Aber es gab damals bei mir keinen Gedanken, jemals in das Unternehmen einzusteigen. Mich hat einfach die Physik fasziniert und die Jenaer Universität hatte gerade im Laser-Bereich eine ausgezeichnete Reputation. Das war meine Motivation, nach Jena zu gehen. Außerdem möchte man natürlich auch einmal von zuhause weg, um nicht dort zu studieren, wo man groß geworden ist. Jena hatte da eine gute Entfernung für mich. Ich konnte ab und zu nach Hause reisen, aber ansonsten war die Stadt auch weit genug weg.
Was ist Ihnen aus Ihrer Studienzeit in Jena besonders in Erinnerung geblieben?
Kurze Wege, das fand ich super als Student, eine gute studentische Kultur und ein extrem gutes Betreuungsverhältnis – dieses Gefühl, nah an den Professoren zu sein, betreut zu werden und zusammen wissenschaftlich zu arbeiten. Was die Freizeit betrifft, gefiel mir die Nähe zur Natur. Ammerbach oder Ziegenhain, das sind Orte, an die ich heute noch gerne gehe. Ich denke da auch an diese klassischen Studentenlokale, die draußen vor der Stadt, aber trotzdem noch zu Fuß erreichbar waren. Es gibt wenige Hochschulstädte, die diese Art von Größe der Universität, aber gleichzeitig Fußläufigkeit der Umgebung zu bieten haben. Entweder ist die Stadt sehr groß oder die Universität sehr klein. Das ist in Jena schon etwas Besonderes.
Sie sind beruflich des Öfteren in Jena. Gibt es einen Ort in der Stadt, den Sie immer wieder besuchen?
Den gibt es in der Tat. Das ist der Johannisfriedhof, der auch geschichtlich sehr interessant ist. Carl zeiss ist beispielsweise auf diesem Friedhof bestattet worden. Ich bin als Student schon oft dort gewesen, das hatte aber damals nichts mit Carl zeiss zu tun. Der Johannisfriedhof lag auf halbem Weg zwischen meiner Studentenwohnung und der Physik-Fakultät. Das war der ideale Platz, um mal ein Buch zu lesen, eine Ruheoase. Viel später haben wir uns als Unternehmen auch daran beteiligt, dass der Johannisfriedhof in Ordnung gebracht wird und anlässlich des 200. zeiss-Geburtstags die Initiative zur Wiederherstellung des zeiss-Grabs unterstützt.
Jena trägt den Beinamen Lichtstadt – was verbinden Sie damit?
Auch wir als Unternehmen versuchen natürlich, durch gewisse Claims einfach den Wiedererkennungswert zu erhöhen und Assoziationen zu wecken. Insofern finde ich es gut, dass Jena den Begriff „Lichtstadt“ geprägt hat. Uns als Unternehmen kommt das ohnehin entgegen – man muss Licht über die Optik hinaus auch im übertragenen Sinn als Erkenntnis sehen: Es eröffnet Horizonte. Oder wenn wir an die Universität denken: Sie war immer schon sehr präsent in der Stadt und verkörpert auch eine Lichtwirkung – eine Abstrahlwirkung, wenn Sie so wollen.
Die Anfänge von zeiss liegen im Bereich der Herstellung von Mikroskopen. Mittlerweile hat sich die Bandbreite an Produkten sehr ausgeweitet.
Wo ist denn heute zeiss „drinnen“, wo man es vielleicht gar nicht vermuten würde?
zeiss Technologie steckt in ganz Vielem. Sie hat aber auch möglich gemacht, dass viele Dinge überhaupt erst funktionieren. Wir ermöglichen beispielsweise den Halbleiter- und Elektronikherstellern, dass sie ihre Computerchips produzieren können. Der Großteil der modernen Chips in Smartphones wird mit Technologie von zeiss hergestellt. Wenn Sie heute in eine Augenheilkundepraxis gehen, dann werden Sie mit einer mehr als 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit mit einem Gerät von zeiss diagnostiziert, im Krankenhaus ist die Wahrscheinlichkeit noch höher. Die Getriebe und Kolben in der Automobilindustrie werden größtenteils mit zeiss Technik vermessen, genauso wie beispielsweise Windräder. Das ist das Tolle am Unternehmen: Die Grundtechnologien, die wir entwickeln, sind solche Kerntechnologien, dass sie eine Hebelwirkung auf andere Bereiche haben. Auch unser Unternehmensgründer Carl zeiss hat damals schon seine Mikroskope gebaut, damit die Biologen an der Universität bessere Forschung betreiben konnten. Insofern sind wir als Unternehmen den Anfängen treu geblieben.
Haben die Bedingungen in der Stadt Jena dazu beigetragen, dass das Unternehmen zeiss so erfolgreich geworden ist? Stichwort Gründergeist, Entdecker und die Verbindung zur Friedrich-Schiller-Universität und der Ernst-Abbe-Hochschule…
Ja, unbedingt. Es ist immer eine Kombination aus mehreren Faktoren. Dass wir ein historisches Commitment zum Gründungsstandort zeigen können, ist toll. Das ist aber nur möglich, weil die Bedingungen heute noch da sind. Wir würden nicht rein aus historischen Gründen eine Investition von 300 Millionen in den Neubau unseres Hightech-Standortes tätigen. Ich sehe in Jena nach wie vor sehr positive Standortfaktoren. Die lokale Vernetzung ist wichtig. Andererseits muss sich fast jeder unserer lokalen Partner wiederum weltweit vernetzen. Auch Carl zeiss hatte früher durch die Universität und Ernst Abbe kongeniale Partner vor Ort. Er und seine Mikroskopiker waren auch schon weltweit vernetzt. Das Unternehmen wäre niemals so groß geworden, wenn nicht damals aus der Universität heraus über Haeckel und andere schon weltweite Beziehungen da gewesen wären. Man muss eine Balance aus lokaler Verwurzelung und globalem Wirken halten.
Sie haben es gerade angesprochen: zeiss wird rund 300 Millionen Euro in den Standort Jena investieren. Außerdem hat die Carl zeiss AG gemeinsam mit anderen Partnern die Entwicklung des Deutschen Optischen Museums auf den Weg gebracht.
Wie sieht Ihre Zukunftsvision für den Gründungsort aus?
Mit einer Investition in dieser Größenordnung und mit dem Deutschen Optischen Museum parallel dazu ist das ein Bekenntnis zur Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Das sagt schon der Name des Museums, damit kann Jena in die Welt strahlen. Für uns gilt es, in einer globalisierten Welt erfolgreich zu sein. Das ist mein Blick in die Zukunft: Einen integrierten Hightech-Standort zu schaffen. Wir sprechen bei zeiss von unserer Zukunft als global vernetztes Unternehmen. In jedem Netzwerk gibt es Hubs oder Knoten, Jena wird auch in Zukunft einer der wesentlichen Knoten bei zeiss sein. Wenn man mich nach der Konzernzentrale oder dem Zentrum des Unternehmens fragt, dann gebe ich der jüngeren „Generation Wi-Fi“ gerne zurück: Wo ist denn beim Internet das Zentrum? Es gibt kein Zentrum. Es gibt immer nur Knoten, die miteinander in Verbindung stehen und funktionieren. Das ist mein Bild des modernen Unternehmens.
Mit der Carl-zeiss-Stiftung setzt das Unternehmen unter anderem auf die Förderung von jungen Wissenschaftlern.
Wie kann man heutzutage Wissenschaft auch für junge Leute greifbar und erlebbar machen?
Das ist eine sehr gute Frage. Wir sehen zwei Richtungen, die mir nicht so gefallen: zum einen eine Verdammung von Wissenschaft als etwas, was uns nicht hilft oder gefährlich ist, zum anderen eine zu vereinfachte Darstellung und ein bloßer Konsum. Wir müssen viel mehr Anstrengungen unternehmen, auch komplizierte Sachverhalte und vor allem die Zusammenhänge deutlich zu machen, nicht irgendetwas zu verteufeln. Wir dürfen aber auch nicht zu sehr vereinfachen, nach dem Motto: Ihr müsst das gar nicht mehr wissen. Hauptsache ihr wisst, wie man das iPhone einschaltet, der Rest ist uninteressant. Wir als Unternehmen engagieren uns sehr, auch ich persönlich. Die Carl-zeiss-Stiftung hat primär die Aufgabe, Forschung zu fördern. Wir als Unternehmen setzen stark bei der Jugendförderung, das heißt den Sekundarstufen und den Studierenden, an. Man muss da zwischen Forschung und Bildung unterscheiden.
Mit Planetarien kommen Menschen ein wenig mit der Welt der Wissenschaft in Kontakt. zeiss Technologie spielt dabei eine wichtige Rolle – sie kommt außer in Jena auch weltweit in Planetarien zum Einsatz.
Ist Astronomie etwas, das Sie privat interessiert?
Ja, ich bin Hobby-Astronom. Ich habe selbst zwei Teleskope und gehe für ein astronomisches Ereignis auch mal auf Reisen. Ich war zum Beispiel kürzlich zur Sonnenfinsternis in den USA. Ein Planetarium ist für mich ein Wunderwerk der Technik. Früher gab es ja noch keine Computer, da funktionierte alles durch mechanische und optische Elemente, heute wird bei den Planetarien vielfach mit digitalen Projektoren gearbeitet. Und wenn man bedenkt: Vor 100 Jahren war es so, dass führende Wissenschaftler und Techniker es für schlicht unmöglich gehalten haben, so etwas zu bauen. zeiss hat damals demonstriert, dass es geht. Das war schon eines der vielen Glanzlichter bei zeiss.
Was würden Sie beruflich machen, wenn Sie heute nicht Vorstandsvorsitzender der Carl zeiss AG wären?
Ich bin froh, sagen zu können, dass ich mir gar nichts anderes vorstellen könnte. Nicht die Position des Vorstandsvorsitzenden, aber die Tätigkeit, die ich ausübe. Das ist vielleicht auch das Besondere an zeiss: Diese Kombination aus Wissenschaft, Unternehmertum und Verantwortung für Menschen – das verbinden zu können, empfinde ich als eine fast einmalige glückliche Konstellation.