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“Von Gleichberechtigung sind wir noch weit entfernt“ – JenaKultur-Blog
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“Von Gleichberechtigung sind wir noch weit entfernt“

DJ Janine Herold an einer Leitplanke lehnend

Sinah ist Resident DJ im Leipziger Westhafen und gehört zum Kollektiv Women of Techno. Abseits des Dancefloors heißt sie Janine Herold, ist Feinoptikerin, und gibt seit zwei Jahren im Kassablanca einen DJ-Workshop speziell für Frauen. Warum ihr das so wichtig ist, erklärt sie mir bei einer Mate im Kassa-Turm.

Seit wann legst du auf und wie bist du dazu gekommen?

Ich leg seit 2014/15 auf und ich bin tatsächlich durch das selber Weggehen darauf aufmerksam geworden. Damals hab ich zum ersten Mal eine Frau spielen sehen. Ich glaube, das muss Lydia Eisenblätter gewesen sein. Da habe ich mich auch zum ersten Mal gefragt, warum da eigentlich immer nur Männer stehen. Und war dann auch neugierig, was da eigentlich so hinterm DJ-Pult passiert, und hatte einen Bekannten, der hat aufgelegt, und bei dem durfte ich ein bisschen probieren. Aber der war immer so vorsichtig mit seinen Platten. Ich hab dann von einem Kumpel ein altes Mischpult bekommen, die ersten Platten zum Üben und habe mit ihm meine ersten eigenen Plattenspieler besorgt und dann bin ich eigentlich dran geblieben. Mir hat manchmal die Motivation gefehlt, wenn es nicht gleich auf Anhieb geklappt hat. Bis ich halt an dem Punkt war, dass ich einen ersten Auftritt hatte und da habe ich dann darauf hin gearbeitet, damit das mit den Übergängen klappt, und habe dann wirklich jeden Tag geübt und irgendwann hat es Klick gemacht.

Wie kam es zu deinem ersten Auftritt?

Über Daniel Hauser. Dessen DJ-Workshop im Kassa habe ich immer mal wieder besucht. Aber da hab ich mich auch erst hin getraut, als ich schon ein bisschen spielen konnte. Und die hatten im Daheme diese Plattform angefangen, wo die Lounge-Musik haben spielen lassen. Also ich hab wirklich mit so Barmusik angefangen, im Daheme und dann auch in Gera im Barclay’s. Wie viele so gestartet sind. Ich glaube, ich könnte das schon gar nicht mehr. Weil man da schon ein bisschen loungiger und ruhiger spielt, und ich hab jetzt die letzten Jahre mehr die Partys gespielt. Weiß gar nicht, ob das noch passen würde. Man verändert sich ja musikalisch auch immer wieder.

Ich finde das interessant, dass dir 2014/15 überhaupt erstmal aufgefallen ist, dass da immer nur Männer auflegen.

Ich war damals Anfang 20 und bin also schon ein paar Jahre weggegangen in der Szene, aber bis ich das erste Mal eine DJane gesehen habe, ist mir das nie aufgefallen. Die hatte halt auch einen guten Auftritt gemacht. Und dann fand ich es aber auch schade, weil ich so gedacht habe: warum gibt es denn so wenige? Das ist ja die letzten Jahre deutlich besser geworden, aber damals, die Frauen, die ich auflegen gesehen habe, die kann ich an einer Hand abzählen.

Ich habe bei Zeiss Feinoptikerin gelernt, dort auch lange gearbeitet, jetzt arbeite ich bei Layertec in Mellingen. Das ist familiärer, weniger Druck, eine jüngere Firma, die sehr wächst. Ich hab dort freiere Zeiteinteilung, das kommt auch dem Auflegen und der Workshop-Sache entgegen.

Zwei Frauen stehen vor einer mit Graffiti besprühten Wand an Plattendeks und legen auf
©Luise Wiederhold

Du hast also bereits einen Beruf, der dich neben dem Auflegen voll in Anspruch nimmt. Was ist deine Motivation, auch noch ehrenamtlich den DJ-Workshop für Frauen im Kassa zu machen?

Meine ersten Auftritte waren eine totale Katastrophe, da war ich so aufgeregt! Meine Hand hat so gezittert, dass ich die Nadel kaum auf die Platte bekommen hab. Daniel hat das schon sehr gut gemacht, aber manchmal hätte ich mir schon gewünscht, dass ich auch noch eine Frau gehabt hätte, die mich an die Hand nimmt. Es ist manchmal wirklich komisch, wenn du in einen Raum kommst, und dann sind da nur Männer.

Die meisten konnten auch schon auflegen und wollten sich natürlich auch beweisen. Irgendwie fühlt man sich beobachtet, vielleicht weil man dann eben die einzige Frau ist. Wir haben unter uns Frauen zum Teil auch ein anderes Miteinander, man fühlt sich wohler. Viele sind am Anfang deutlich zurückhaltender. Der Workshop ist ja auch da, um sich zu connecten.

Hier im Kassa ist es wirklich toll, dass wir diese regelmäßige Plattform bekommen haben und dass es auch so eine schöne Zusammenarbeit ist. Weil die sich auch nach mir richten, was die Termine angeht. Ich guck dann, dass ich freitags eher von der Arbeit los komme und direkt hierher fahre. Es ist schön, dass wir nicht nur den Raum und die Technik gestellt bekommen, sondern dass wir auch integriert werden. Ich sag zum Beispiel Daniel Hauser bescheid, wenn ich denke, dass ein Mädel dran bleibt und soweit ist, dass sie auflegen kann, und dann bekommt sie halt mal einen Slot für den Sunday Boogie und langfristig auch für die Schöne Freiheit, oder aber auch zu anderen Veranstaltungen im Kassa einen Auftritt, zum Beispiel wenn Tag der offenen Tür ist, wo man auch mal so ein bisschen aufklärt und ansprechbar ist. Es ist cool, dass man die Mädels schon mal so ein bisschen in die Veranstaltungssache reinbringen kann, dass die so ihre ersten Erfahrungen tatsächlich auch im Kassa schon sammeln können mit Auftritten und so.

Wie kam es überhaupt, dass du den Workshop machst?

Die Fujimi, die den Workshop vor mir gemacht hat, ist für ihr Studium aus Jena weggezogen und dann war nicht klar, wer das weitermachen soll. Ich war damals auch glaube ich die einzige DJane, die in Jena gelebt hat, die schon soweit war, dass man sagen konnte, die kann so eine Aufgabe machen, kann das erklären, und selber schon so gut auflegen, dass sie es anderen beibringen kann. Thomas Sperling und Daniel Hauser sind dann auf mich zugekommen.

Ich habe mir einen Workshopnamen gesucht und Paul Schäfer aka Carlo Bonanza hat mir einen Flyer erstellt. Dann habe ich auch Social Media-Accounts für den Workshop erstellt, und damit funktioniert das ganz gut, die Mädels auch zu erreichen. Es ist spannend, dass die tatsächlich Wege auf sich nehmen, von Erfurt, Weimar, also wirklich auch mit dem Zug direkt kommen. Das Interesse ist da, es ist meistens ganz gut besucht. Wir sind halt nicht so viele wie die Jungs, also der allgemeine DJ-Workshop, aber am Anfang waren wir schon so zehn Mädels.

Eine Frau steht an einem Plattendeck und legt auf, im Hintergrund unterhalten sich junge Menschen und sitzen im Freien zusammen
©Jessica Just

Für das Kassa ist das generell ein Thema zu fördern, dass mehr Frauen Musik machen. Martin Dauel feiert das immer sehr. Der gibt mir immer Feedback, beobachtet die Entwicklung von dem Workshop und sagt mir, dass er das sehr schön findet, wie ich das erkläre. Und es ist auch so, dass man auf Frauen anders zugehen muss.

Was heißt das?

Man muss sie schon mehr an die Hand nehmen, Mut machen, ihnen auch öfter sagen, dass das gut war. Frauen sind ganz oft so, dass sie immer alles infrage stellen, was sie machen, sich immer nicht gut finden. Man muss sie immer positiv bestärken.

Was man sich bei vielen männlichen DJs wünschen würde, dass sie sich ein bisschen mehr infrage stellen…

Ja, das ist ganz putzig. Manchmal bringen Teilnehmerinnen ihre Kumpels mit, und die haben dann ihre Workshop-Aufgabe vielleicht nicht so gut gelöst, aber sind selbstbewusster, und finden sich besser als die Freundin, die es danach versucht hat und einen besseren Übergang gemacht hat.

Sexistische Bemerkungen und Ungleichberechtigungen sind in der Szene leider keine Einzellfälle. Im Instagram-Post von „I AM A DJ“ wird abgerechnet.

Viele sind halt eher so, dass die erstmal nur gucken und sich informieren und noch gar nicht selber auflegen, aber dafür ist es ja auch da. Und ein paar bleiben da tatsächlich auch länger dran. Richtig stolz bin ich da auf Jessica Just, die macht als Julita Just jetzt Musik.

Ah, das habe ich auf der Fahrt hierher auf deinem Soundcloud gehört!

Ja, das waren wir beide zusammen. Wir treffen uns jetzt auch regelmäßig privat und spielen dann auch zusammen. Wir haben auch überlegt, ob wir gemeinsam was machen wollen als B2B-Partner. Aber mal schauen. Es ist halt schön, dass sich dann auch Freundschaften über diesen Workshop entwickeln.

Wie läuft so ein Workshop ab?

Generell stellen wir uns erstmal alle vor. Dann frage ich danach, was sie schon können, ob sie schon mal aufgelegt haben. Ich erkläre die Geräte, was es bedeutet, ein Set zu machen. Dass Tracks in verschiedenen Geschwindigkeiten produziert sind, dass die aufeinander abgestimmt werden müssen, also sowohl die Geschwindigkeit als auch die Takte, und dann macht man auch schon mal einen ersten Übergang, damit sie schon mal ein Ergebnis hören können. Ich fange gern auch mit dem Digitalen Equipment (XDJs) an, weil man da mehr visuellen Input hat. Man sieht da die BPM-Anzeige, kann da schon mal sehen, wie unterschiedlich schnell die Tracks produziert sind. Erstmal zeigen, dann selbst ausprobieren, und dann gehe ich aber auch relativ schnell zum Plattenspieler über, weil ich möchte, dass sie auch das Handwerk dahinter verstehen, dass man es hören und fühlen muss.

Vor Kurzem ist ein Podcast erschienen, der Sexismus in der Leipziger Techno-Szene thematisiert. Du bist ja auch Resident im Leipziger Westhafen, wie nimmst du das wahr?

Ich hab immer mal Anfragen, wo es heißt, kannste mal einen Podcast machen, weil wir brauchen noch ne Frau. Oder am Anfang hab ich auch so Kommentare bekommen von wegen, ja Janine, bei dir läuft das dann schon, weil du bist ja ne Frau. Nach der Art: Du musst ja gar nicht so gut auflegen können, denn weil du eine Frau bist, wirst du eh gebucht. Das ist wahrscheinlich oft unbewusst und nicht blöd gemeint, aber solche Sachen sind für mich immer sofort sehr demotivierend, da steckt eine Abwertung drin. Ich glaube, ich habe viele solche Sachen auch einfach verdrängt oder weggesteckt, weil ich einfach drüber stehen möchte. Aber viele andere Frauen schreckt sowas vielleicht auch einfach ab.

DJane Janine Herold mit Kopfhörern lehnt an einer Leitplanke und raucht
©HerzMädchen

Dass jetzt verstärkt Frauen gefördert werden, ist einerseits gut, andererseits manchmal auch blöd, wenn du die Künstlerin bist. Das ist zweischneidig, denn man will ja gebucht und respektiert werden für das, was man macht, und nicht dafür, dass man eine Frau ist.

Als DJane hab ich Übergriffiges eigentlich so gut wie gar nicht erlebt, aber du hast ja auch deinen Bereich, du hast deinen Backstage in dem du dich bewegen kannst, du hast dein Pult, bist da ja auch immer so ein bisschen noch vom Publikum abgeschirmt. Aber als Gast ist das was anderes. Also da hab ich das auch mehrfach erlebt. Auch hier im Kassa. Da hat mir mal jemand wirklich derbe auf den Hintern gehauen. Ich wusste nur, aus welcher Ecke das kam, und neben mir stand ein Mädel, bei der hat er es auch gemacht. Ich bin dann zu ihm hin und hab gefragt, was das soll. Und wurde da so richtig blöde angemacht, der wollte sich auch nicht entschuldigen, und dann bin ich zum Türsteher gegangen und hab dem den Typen gezeigt und die haben ihn auch rausgeholt. Sie haben mich dann auch nochmal mit dazu geholt und ihm die Möglichkeit gegeben, sich bei mir zu entschuldigen. Für mich wär das damit auch erledigt gewesen, aber er hat das tatsächlich komplett abgelehnt. Er hat dann auch Hausverbot bekommen. Ich hab ihm auch gesagt, selbst wenn ich nichts anhätte, oder hier im Schlüppi stehen würde: Du hast mich einfach nicht anzufassen!

Ich pflege meine Profile in den sozialen Medien ja schon so, dass ich finde, die sind nicht zu freizügig. Trotzdem ist es mir auch schon passiert, dass ich von Unbekannten einfach mal so ein Dick Pick geschickt bekam, wo ich mich dann schon frage, was ist mit so jemandem nicht in Ordnung?

Du hast dich auch mit sechs anderen Frauen zu dem Kollektiv Women of Techno zusammengeschlossen. Welche Vorteile hat das für dich?

Wir haben uns mal bei einem gemeinsamen Auftritt kennengelernt und schnell gemerkt, dass wir uns miteinander sehr wohl fühlen, und sowohl als Kollektiv als auch individuell voneinander profitieren. Es ist generell schön, weil man sich zugehörig fühlt. Man hat als Frauen untereinander auch nochmal andere Themen, wo man sich irgendwie leichter fühlt, darüber zu reden.

Es ist ein Geschäft, bei dem gerade für Frauen Familie und Beruf besonders schwer vereinbar sind, wenn du weißt, als Freiberufler, du wirst, wenn du ein Kind haben möchtest, deinen Job auf jeden Fall mindestens ein Jahr nicht machen können. Ein Jahr raus zu sein, keine Auftritte zu machen, keine neuen Sets zu produzieren, das ist eine lange Zeit, das kann schon der Tod für eine karriere sein. Es ist schon einiges passiert in dem Bereich, aber es ist wichtig, die Sichtbarkeit dieser Themen zu erhöhen. Von Gleichberechtigung sind wir noch weit entfernt.


Christian Gesellmann
Christian Gesellmann | ©Martin Gommel

Christian Gesellmann: Das Kassa feierte letztes Jahr seinen 30. Geburtstag! Ein Jahr lang werde ich mich als Stadtschreiber mit den Menschen treffen, die diesen einzigartigen Verein und Club geprägt haben, und ihre Erinnerungen aufschreiben – und natürlich mit Ihnen/dir teilen, hier auf diesem Blog, auf Facebook und Instagram.

Welche Geschichten und Erinnerungen verbinden Sie/verbindest du mit dem Kassablanca? Haben Sie/ hast du noch irgendwo alte Fotos von Ihnen/dir und Ihren/deinen Freunden im Kassa? Ich freue mich auf Post an: allesgute@kassablanca.de

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