Ein kurzer Essay zum Themenjahr von Jonas Zipf in 4 Teilen
On parle – man spricht vom Weimarer Bauhaus, vom Dessauer Bauhaus, vom Berliner Bauhaus. Mitunter auch vom Bauhaus in Tel Aviv oder Kalifornien. Dennoch gibt es in aller Regel keine Regeln: Worin sich die einzelnen historischen Epochen der maßgeblichen Bauhaus-Akteure im innerdeutschen, später außerdeutschen Exil stilistisch unterscheiden, welche ästhetischen, gar funktionalistischen Quantensprünge zwischen den Ortschaften stattgefunden haben, lässt sich kaum ausmachen. Welche Rolle spielt in diesem Geflecht unsere kleine Großstadt im Osten Thüringens?
On triche – natürlich ist es eine maßlose Übertreibung in diesem Kontext von einem Jenaer Bauhaus zu sprechen. Dennoch ist die typische Rolle Jenas im Verhältnis zur nachbarschaftlichen Hälfte der Schiller-Goetheschen Doppelstadt, im Verhältnis zum kulturellen Herzen Thüringens, zu Weimar, wie meist, auch bei der Entwicklung der ersten staatlichen Schule des Bauhauses kaum wegzudenken. Jenas Rolle ist die des Geldbeschaffers, des Mäzens und Investors, mitunter des Industrialisierers, des Serienproduzenten. Kaum war des je klarer als während des geschichtlichen Augenblicks der Begründung des Bauhaus-Mythos im Verlauf der 1920er Jahre: Es waren Jenaer Professoren und Großbürger, die die weltweit ersten privaten Wohnhäuser nach dem Baukastenprinzip beauftragten; es waren Jenaer Ingenieure und Firmen, die die ersten Designprodukte des Bauhauses in serielles Glas und Stahl gossen und produzierten. Die Rede ist von den Villen Auerbach und Zuckerkandl, vom legendären Theaterbau und den späteren universitären Funktionalbauten Abbeanum und der Neufert-Mensa, von der Wagenfeld-Teekanne oder den "Leuchten der Moderne".
On oublie – alles nachzulesen in einer begleitenden Publikation, einer Art Handreichung für all diejenigen, die es im hundertsten Jubiläumsjahr der Gründung des ersten staatlichen Bauhauses - oder auch später – aus welchem Grund auch immer nach Jena verschlägt, und die auf diesem Weg davon erfahren, dass Jenas Rolle im Bauhaus-Kontext nicht ganz unmaßgeblich war. Dennoch steht dieser Befund im krassen Widerspruch zur Erlebbarkeit, Spürbarkeit, Sichtbarkeit des Themas im städtischen, kulturellen, touristischen Raum der Stadt. Jena nennt kein Bauhaus-Museum sein eigen; die genannten Immobilien befinden sich – ganz im Sinne der Erfinder – in Nutzung, sind nicht zugänglich oder existieren nicht mehr; die genannten Designprodukte haben einen seriellen Siegeszug hingelegt, der Original und Kopie genauso ununterscheidbar macht, wie den ursprünglichen Herstellungsort unsichtbar. Wie begeht eine solcherart geschichtsvergessene, stets der sich immerzu erneuernden eigenen Gegenwart und Zukunft zugewandte Stadt ein Bauhaus-Jubiläum?
On brille – Jena strahlt, indem es mitten unter vergangenheitsverliebten Residenzstädten die Rolle des Zeitgenossen spielt. Indem es sich mit dem immer noch frischen Aufbruchsgeist, der jugendlichen Experimentierfreude, der Entgrenzung der Künste der frühen Bauhausjahre auseinander setzt. Indem es sich mehr mit dem erneuerbaren, zu erneuernden Gehalt, statt der historischen und musealen Gestalt beschäftigt – mit potentiellen Aktualisierungen und aktuellen Auswirkungen eines Gedankens aus Thüringen, der Weltkarriere gemacht hat. So sind sie gemeint, die Projekte und Ereignisse, mit denen wir die Monate Mai und November, das Jubiläumsjahr 2019 und das vorliegende Heft gefüllt haben: Das Jenaer Bauhaus 2019, es besteht aus sozialer Echtzeitarchitektur (72 Hours Urban Action) und echtzeitlicher Projektionskunst (Cirque de Bauhaus), aus künstlerischem Design (Leuchten der Moderne) und designierter Kunst (Der Sturm), aus erlaufener Geschichte (Bauhaus Talking) und geschichtlichem Lauf (Ich sehe was, was Du nicht siehst), aus experimenteller Klassik (Musik geht mit!) und classy Jazz (White City Jazz/ Bauhaus 10), aus tänzerischem Taumel (Die Wohung einhundert) und taumelndem Tanz (Theater in Bewegung), aus Langen Nächten der Museen und der Wissenschaften – und so vielem mehr –