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Hanna Stirnemann zum 125. Geburtstag – JenaKultur-Blog
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Hanna Stirnemann zum 125. Geburtstag

schwarz-weiß-Portrait, seitlich: Hanna Stirnemann im Stadtmuseum Jena

125 Jahre Hanna Stirnemann: Eine avantgardistische Museumsdirektorin

Hanna Hofmann-Stirnemann war eine Pionierin der Museumswelt. Als Direktorin des Jenaer Stadtmuseums wurde sie 1930 die erste Frau, die in der Weimarer Republik ein Museum leitete. Sie prägte die Entwicklung des Jenaer Stadtmuseum und wirkte darüber hinaus als Wegbereiterin für Frauen in Führungsetagen. Anlässlich ihres 125. Geburtstages lädt das Stadtmuseum Jena am 12. Oktober 2024 zu einem Vortragsabend ein, der ihr Leben und Werk in den Mittelpunkt stellt: »Eine Frau als Museumsdirektorin. Eine Hommage zum 125. Geburtstag von Hanna Stirnemann, Direktorin des Jenaer Stadtmuseums 1930-1935«.

Eine Pionierin auf dem Weg zum modernen Museum

Johanna Hofmann-Stirnemann wurde am 12. Oktober 1899 in Weißenfels geboren. Nach ihrem Schulabschluss und ihrem Studium der Kunstgeschichte und Archäologie sammelte sie erste Berufserfahrungen in Oldenburg. 1929 richtete sie das Heimatmuseum im thüringischen Greiz ein. Besonders prägend war die Verbindung zu ihrem Mentor Walter Müller-Wulckow, dessen Empfehlungsschreiben ihr 1930 den Weg zur ersten Museumsdirektorin der Weimarer Republik in Jena ebnete. Nach dem Ableben des Museumsgründers und Direktors, Paul Weber, wurde in Jena eine nachfolgende Besetzung gesucht.
Am 1. April 1930 wurde die dreißigjährige Hanna Stirnemann zur neuen Museumsdirektorin in Jena.

schwarz-weiß-Foto: Prinzessinnenschlösschen um 1930
Prinzessinnenschlösschen um 1930 © Stadtmuseum Jena

Ihre ersten Jahre in Jena waren geprägt von vielfältigen Aufgaben und Herausforderungen, um das 1901 gegründete Jenaer Stadtmuseum in die Zukunft zu führen. Das Museum war damals im Stadthaus in der Weigelstraße beheimatet. Der Kunstverein stellte dem Stadtmuseum außerdem das Prinzessinnenschlösschen zur Verfügung, das Stirnemann unter anderem als Ausstellungsraum nutzte. Stirnemann befasste sich mit der Bearbeitung der Sammlungen, der Planung von Sonderausstellungen und veranstaltungen sowie mit der Umstrukturierung des Budgets. Zudem konzentrierte sie sich darauf, das Museum als wandelbaren Ort der Begegnung zu gestalten.

alte Postkarte, coloriert: Weigelstraße mit Stadthaus
Weigelstraße mit „Stadthaus“, in dem das Stadtmuseum bis 1945 untergebracht war, Postkarte um 1901 © Stadtmuseum Jena

„Museen sind oder sollten sein lebendige Organismen, fähig, sich zu wandeln, zu wachsen, zu sprechen in einer Sprache, die dem Lebenden immer verständlich sein muß.“

Zit. nach Köpnick/Stamm, Hanna Stirnemann, Das lebendige Museum, in: Thüringer Lehrer-Zeitung, 21. Jhg., Nr.19, v.3. Juni 1932, S. 289-291, hier S. 289

Als Direktorin verwandelte Stirnemann das Stadtmuseum Jena in einen lebendigen Ort: weg vom Klischee, Museen seien trockene, verstaubte Orte des bloßen Sammelns und Verwahrens, und hin zu einem kreativen und unkonventionellen Umgang mit historischen Objekten, die der Gegenwart stets etwas zu sagen haben. Stirnemann verstand das Besuchen eines Museums nicht als passiven Durchgang durch die Ausstellung, sondern als aktive Mitgestaltung des öffentlichen Raumes. Ganz passend dazu lud sie eine Künstlergruppe aus dem Bauhaus-Kreis in Dessau zur Ausstellungsgestaltung ein, darunter ihren späteren Ehemann Otto Hofmann, der sich zur abstrakten Kunst bekannte und KPD-Mitglied war. In einer von Männern dominierten Museumswelt und einer immer reaktionärer werdenden Grundstimmung im Land setzte Stirnemann so moderne, progressive Akzente. Ausstellungen wie „Buch und Schrift“ und „Jenaer Glas und Dornburger Keramik“ waren nicht nur Sammlungen von Objekten, sondern Erlebnisse, die die Besucher fesselten und herausforderten. Es war Stirnemann, die das Stadtmuseum Jena zu einem Vorreiter der deutschen Museumslandschaft formierte.

Im selben Jahr 1935, da Stirnemann wegen „undeutscher“ Kunstausstellungen und eines womöglich „unarischen“ Urgroßvaters entlassen wurde, heiratete sie den Avantgarde-Künstler Otto Hofmann. Nach Stirnemanns Entlassung zog das Ehepaar nach Berlin. Dort konnte sie sich durch Privatunterricht in Kunstgeschichte und Schreiben über Wasser halten. Ab 1937 zog sich das Ehepaar nach Thüringen in die innere Emigration zurück. In Hainichen fanden sie während der Kriegsjahre Zuflucht.

schwarz-weißer Holzschnitt von Helmut Krause: Hanna Stirnemann um 1933
Holzschnitt von Helmut Krause: Hanna Stirnemann um 1933 © Stadtmuseum Jena

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg konnte Hanna Hoffmann-Stirnemann beruflich wieder Fuß fassen. Im Nachkriegsdeutschland übernahm sie die Leitung des Schlossmuseums Rudolstadt, modernisierte es und setzte sich für die Weiterentwicklung der Museumslandschaft in der DDR ein. Aber auch mit der Kulturpolitik der Sozialisten hatte sie ihre Probleme, weswegen sie 1950 mit ihrem Ehemann wieder nach West-Berlin zog, um dort eine Stelle als Kunsthistorikerin und Geschäftsführerin des Deutschen Werkbunds anzutreten. Hier konzentrierte sie sich auf die Präsentation mittels moderner und funktionaler Gestaltungslösungen.

Schwarz-weiß Portraits: Hanna und Otto Hofmann im Innenhof der Heidecksburg
Hanna und Otto Hofmann im Innenhof der Heidecksburg © Thüringer Landesmuseum Heidecksburg

„Wissen Sie, nach so einem Leben hat man überhaupt keine Lebensangst mehr und keinerlei Besitzverhältnisse zur Welt.“

Zit. nach Köpnick/Stamm, Johanna Hofmann-Stirnemann in einem Interview mit Bernhard Schneider, anlässlich ihres 80. Geburtstages, in: Werk und Zeit, 1979, H.3, S. 2

Hanna Hofmann-Stirnemann blieb bis zu ihrem Tod am 25. November 1996 eine unermüdliche Mitgestalterin des Thüringer und Berliner Kulturlebens, deren mannigfaltiges Erbe noch heute gewürdigt wird.

Im Gespräch mit Stirnemanns Biografen: Dr. Gloria Köpnick und Prof. Dr. Rainer Stamm

Janka Blumensath (Stadtmuseum Jena): Was hat Sie dazu inspiriert, ein Buch über Hanna Hofmann-Stirnemann zu schreiben und welche Herausforderungen sind Ihnen dabei begegnet?

Prof. Dr. Rainer Stamm: Ich war 14 Jahre am Museum in Oldenburg als Direktor tätig und da versucht man auch einen Eindruck zu bekommen von den Menschen, die damit zu tun haben. Da ist einmal natürlich der Gründungsdirektor Walter Müller-Wolckow und dann natürlich Hanna Stirnemann. Dann sind wir auf die Vorarbeiten aus Jena gestoßen und es wurde immer spannender, sich mit dieser Person auseinanderzusetzen. Sowohl Gloria Köpnick als auch ich wollten diesen Lebensweg nachzeichnen, auch wenn dies immer wieder zum Scheitern und Straucheln führte. Erstmal schien es, als wenn es gar keinen Nachlass von ihr gibt. Dann haben wir doch noch einen Teilnachlass gefunden. Es gab in den Vorarbeiten aus Jena aber ein paar Haken in der bisherigen Dokumentation. Und dann war immer die Frage: War sie Jüdin oder nicht? Und wie ist sie mit der DDR umgegangen?

Dr. Gloria Köpnick: Das, was uns am meisten zu dieser Arbeit motiviert hat, ist die Neugierde, noch nicht alles zu wissen, und natürlich auch der Wunsch, eine Frauengeschichte zu erzählen. Ich glaube, Hanna Stirnemanns Geschichte ist eine außergewöhnliche, eine wirklich erzählenswerte. Eigentlich sind es gar nicht die Hürden, sondern der Zufall, der einen zu neuen Quellen bringt. Wir haben durch Zufall Archivalien in Wien gefunden und den Sohn eines Freundes der Familie aus Jena kennengelernt. Ich glaube, das Projekt wäre nicht möglich gewesen, wenn wir nicht so viele Jahre daran gearbeitet hätten.

Janka Blumensath: Welche Schlüsselerfahrungen in Stirnemanns Leben, insbesondere während der Zeit des Nationalsozialismus, haben ihren Weg als eine der ersten Museumsdirektorinnen geprägt?

Prof. Dr. Rainer Stamm: Dieses Zusammenarbeiten mit Walter Müller-Wulckow in Oldenburg, im Aufbau eines modernen Museums, das war für sie prägend. Als junge Frau mit 29 Jahren hat sie die Chance bekommen, in Greiz ein Museum aufzubauen. Aufgrund dessen, was sie bis dahin geleistet hat, wurde sie dann zur Direktorin des Stadtmuseums und Kunstvereins in Jena ernannt, und das ist der Durchbruch. Wir sehen auch in der Art, wie sie Briefe schreibt, ein ganz beeindruckendes neues Selbstbewusstsein. Ich glaube, sie war eine Überzeugungstäterin. Für mich war es eine ganz wichtige Information, dass sie ganz viel Humor hatte, eine tiefe Stimme, vielleicht auch vom Rauchen, und immer ganz viel gelacht hat. Sie hatte eine innere Kraft und Überzeugung, die wie ein Motor in ihr gewirkt hat.

Dr. Gloria Köpnick: An Hanna Stirnemann finde ich besonders beeindruckend diese Geradlinigkeit ihres Charakters. Immer wieder den Mut zu haben, neu zu beginnen, aber sich auch nicht verbiegen zu lassen. Auch im Nazi-System nicht. Das ist eine Kraft, die sie bis ins hohe Alter behalten hat. Dieses Neubeginnen, was für ein Mut! Es sind ja auch mehrere Brüche, Kämpfe gegen die Umstände dieser Zeit, eine Frau zu sein in einem Männerkontext, wo Frauen keine Leiterinnen sind. Sie war eine Macherin – nicht eine, der man gesagt hat, was sie machen soll. Egal wo sie war, sie hat die Dinge angepackt.

Janka Blumensath: Wie relevant ist Stirnemanns Vision heute und welchen Einfluss hatte sie auf die Museumswelt?

Prof. Dr. Rainer Stamm: Sie war unbeirrbar in ihren Qualitätseinschätzungen, wollte dafür kämpfen und diese auch anderen Menschen nahe bringen. Sie war fest davon überzeugt, dass diese ästhetische Erziehung dem Menschen gut tut. Für die Museumsarbeit in Jena kann man das daran belegen, dass sie die Industrieproduktion im Museum sichtbar gemacht hat. Sie hat altes Kunstgewerbe neben der industriellen Glasproduktion von Schott präsentiert und somit die Produktionsrealität des Jenaer Kunstgewerbes mit ins Museum gebracht. Das war etwas ganz Neues.

Dr. Gloria Köpnick: Der Einfluss auf die Museumswelt könnte größer sein, liegt aber daran, dass sie eine vergessene Kunsthistorikerin ist, die über sich selbst, wie viele Männer ihrer Zeit, keine Autobiografie schrieb. Dass Museen Orte der Begegnung sein können, wo wir aus der Vergangenheit lernen können, finde ich als Ansatz eine beeindruckende Qualität.

Janka Blumensath: Wenn Sie die Möglichkeit hätten, Hanna Hofmann-Stirnemann bei einer Tasse Kaffee zu treffen, welche persönlichen Fragen würden Sie ihr stellen?

Prof. Dr. Rainer Stamm: Wie kann man als Mensch mit so vielen schwerwiegenden Rücksetzungen umgehen? Ich hätte sie gern gefragt, ob sie ihr Leben irgendwie als Scheitern erlebt hat oder trotzdem als Erfüllung. Es war ein tolles Erlebnis, sich mit so einer Biographie zu beschäftigen. Sie ist die erste Museumsdirektorin, über die eine Biografie geschrieben worden ist, und sie ist eine Identifikationsfigur für diesen Beruf.

Dr. Gloria Köpnick: Meine Frage an Hanna Hofmann-Stirnemann wäre: Was war für Sie die erstaunlichste Künstlerbegegnung? War das vielleicht der Besuch bei der Künstlerin, von der sie gemalt wurde, oder wie sich Franz Radziwill im Nationalsozialismus vollkommen einem System hingab, das so menschenverachtend war? Ich würde sie auch Fragen, was sie einer jungen Kunsthistorikerin in unserer Welt heute raten würde.

Das Interview führte Janka Blumensath, Studentin der Germanistik und Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität und Praktikantin im Stadtmuseum Jena.

Für Interessierte:

Audio-Stories über u. a. Hanna Stirnemann stellt das Volkshaus Jena im Haus, am nach ihr benannten Raum und auf der Webseite zur Verfügung!

Über die neue Biografie

Buchcover in grau/pink: Biografie Hanna Hofmann-Stirnemann
Biografie Hanna Hofmann-Stirnemann © Sandstein Verlag

Die Biografie von Gloria Köpnick und Rainer Stamm wirft ein Licht auf die faszinierenden Dimensionen des Lebens von Hanna Hofmann-Stirnemann. Die Monografie zeichnet Stirnemanns Rolle als Museumsleiterin nicht als reine Verwaltungskraft, sondern als Gestalterin einer dynamischen Verbindung von Kultur und Zeitgeschichte. Das 2024 erschienene Buch zeigt, wie Stirnemann über die konventionelle Museumsarbeit hinausging und als Kulturvermittlerin Brücken zwischen verschiedenen Disziplinen schlug. Für all jene, die tiefer in das Leben und Werk der Frau eintauchen wollen, die in Jena zur ersten Museumsdirektorin der Weimarer Republik wurde, sei diese Lektüre empfohlen.

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