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Der Felsendichter vom feuerspeienden Berg – JenaKultur-Blog
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Der Felsendichter vom feuerspeienden Berg

Historische Fotografie von Gert H. Wollheim und anderen bei der Ausreise nach New York 1947

Gemälde, Zeichnungen und Skizzenbücher von Gert H. Wollheim in der Jenaer Kunstsammlung

 

Ab 7. Dezember 2024 zeigt die Kunstsammlung Jena das Werk eines Ausnahmekünstlers, dessen Arbeiten seit über 20 Jahren nicht ausgestellt wurden. Warum? Das hängt mit einer bewegten und oft dramatischen Biografie zusammen, in deren Folge das Œuvre Wollheims weit über den Globus verstreut wurde.

Erik Stephan, Leiter der Städtischen Museen Jena und Kurator der Kunstsammlung Jena nimmt Sie mit in ein aufwühlendes Leben.

„Sei kühn mit deinen Projekten, denn die Kühnheit deines Planes steht in engster Beziehung zu der formalen Entwicklung deiner Vorstellung. Wer nie ein tobendes Pferd hat zeichnen wollen, wie könnte der darauf kommen, dass auch ein Baum bewegt und ein Stein mit Riesenkräften geladen sei.“

Gert H. Wollheim, 1942
 

Gert Heinrich Wollheim ist eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts: In seinen Bildern versammelt sich die abendländische Kunstgeschichte zu einem fröhlichen Miteinander, eine Postmoderne, die in der Moderne gereift ist und vor allem eines ausdrückt, eine unbändige Lust an der Malerei. Er wurde als „Avantgardist von gestern“ bezeichnet, zählte aber zu den Revolutionären seiner Zeit, er war Herkules und Don Quichotte gleichermaßen und hat ein Werk geschaffen, das ohne Vergleich ist. Nach Verfolgung, Internierung und Exil lebte er bis zu seinem Tode in New York und wurde in Deutschland fast vergessen.

Gert H. Wollheim: Selbstbildnis | 1928 | Öl-Holz
Gert H. Wollheim: Selbstbildnis | 1928

Gert Heinrich Wollheim wird am 11. September 1894 als mittlerer der drei Söhne des Automatenfabrikanten Heinrich und Gertrud Wollheim in Dresden-Loschwitz geboren. Wenige Jahre später siedelt die Familie nach Berlin über, wo Wollheim auch die Schule besucht.

Seine künstlerische Ausbildung beginnt er in der Freilicht-Aktschule des Malers Hans Lietzmann in Torbole am Gardasee und setzt diese ab 1911 an der Großherzoglichen Schule für bildende Kunst in Weimar fort. Er studiert bei Gottlieb Forster, Fritz Mackensen und Albin Egger-Lienz; seine Kommilitonen sind Otto Pankok, Peter Röhl, Carl Lohse, Heinrich Stassen und Otto Herbig. 1914 folgt er Egger-Linz nach Klausen in Tirol, um seine Fähigkeiten in der figurativen Malerei zu vervollkommnen. Seine Ausbildung wird durch den Beginn des Ersten Weltkrieges beendet, an dem er als Soldat, zunächst an der Ost- und später an der Westfront, teilnimmt. Die Eindrücke des Krieges hält er in Gedichten und Zeichnungen fest. Die Verzweiflung in den Schützengraben, die Hinrichtung Unschuldiger und andere traumatische Erlebnisse kehren immer wieder, wie etwa ein Bauchschuss, den er 1919 in dem Triptychon „Der Verwundete“ in beklemmender Expressivität darstellt.  

Nach Kriegsende flieht Wollheim die „Stadt-Illusionen“ und mit Otto Pankok, dessen Freunden Ulfert Lüken und Hermann Baptist Hundt nach Remels/Ostfriesland, um nach neuen gesellschaftlichen Modellen zu leben und gemeinsam zu arbeiten. Wollheim wohnt bei der Bäckerfamilie Weihen, wird Pate der Tochter Gerda, spielt Geige, rezitiert Gedichte und integriert sich im Leben des Dorfes. Doch bereits Ende 1919 zieht es ihn nach Düsseldorf, wo er (und Pankok) sich den Künstlervereinigungen „Aktivistenbund 1919“ und „Das Junge Rheinland“ anschließt.

Im Februar 1920 beteiligt er sich an den Aktivitäten im Künstlerverein Malkasten, dessen reaktionäre Mitglieder ihn jedoch verhöhnen, worauf sich der Künstler aus diesem Kreis schnell wieder zurückzieht. Die Ausstellung seines Anti-Kriegsbildes „Der Verwundete“ erregt das Publikum derart, dass er es Johanna Ey, einer unabhängigen Kunsthändlerin, schenkt, die es über ihrem Bett aufhängt. Es kommt zu zahlreichen, heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Vertreter:innen der akademisch-tradierten und denen der neuen Kunst. In der Galerie „Neue Kunst Frau Ey“, für die Wollheim auch die Zeitschrift „Das Ey“, ein Kampfblatt, herausgibt, finden zahlreichen Ausstellungen statt. Diesem Kreis stehen wenig später auch Max Ernst und Otto Dix nahe. Wollheim unterstützt – zusammen mit dem „Monistenbund“, „Ey“ und „Freie Volksbühne“ – die Gründung der anarcho-syndikalistischen Arbeitersiedlung „Freie Erde“ am Stadtrand im Süden Düsseldorfs und hilft bei der Besorgung des Grundstücks.

Es kommt zur Zusammenarbeit mit der Freien Volksbühne und zur Aufführung seines Werkes „Ein Theaterstück im Freien“ in drei Akten. Wollheim ist hier Maler, Dichter und Schauspieler in einer Person, spielt den Theaterdirektor und proklamiert die „Fühlungnahme zwischen der freien Landschaft mit dem Denken und Handeln der Menschen“. 1921 heiratet Wollheim die Pianistin Leni Stein, der er eine „Brautmappe“ mit Lithografien widmet. 1922 initiiert er zusammen mit Adolf Uzarski die „1. Internationale Kunstausstellung“ in Düsseldorf und den „1. Kongress der Union fortschrittlicher internationaler Künstler“. Wollheim beteiligt sich mit satirischen sozialkritischen Zeichnungen an der linken Satirezeitschrift „Die Peitsche“. Der Stil der politischen Auseinandersetzung wird sichtlich schärfer. 1924 entsteht das große resümierende Vielfigurenbild „Abschied von Düsseldorf“, das 1925 in der „Frühjahrsausstellung“ der Preußischen Akademie der Künste und später auf der „24th International Exhibition“ des Carnegie Institutes in Pittsburgh ausgestellt wird.

Gert H. Wollheim: Spinatfresser | 1921
Gert H. Wollheim: Spinatfresser | 1921
Gert H. Wollheim: Die Tänzerin | 1922
Gert H. Wollheim: Die Tänzerin | 1922
Gert H. Wollheim: Dame mit Liebhaber – Die Unterwerfung | 1926
Gert H. Wollheim: Dame mit Liebhaber – Die Unterwerfung | 1926

„Es ist still geworden in Düsseldorf […]. Die Linie des Dollars geht im Zick-Zack und die Mark verkrümelt sich ewig im Staube. Unzählige neue Kapitalisten sind entstanden […] es gibt unzählige neue Salons, Herrenzimmer, Speisezimmer, Fremdenzimmer mit leeren Wänden, die nach Behang schreien. Auf Qualität kommt’s nicht an, nur Quantität. Stilleben fürs Speisezimmer, Porträts über die Sofas, um Familienzauber zu mimen und für die zukünftige Ahnengalerie, Landschaften, Genres, Masse – Masse. Der Papiermarkwohlstand hat geradezu zerstörend auf die sowieso schon schablonierte Kunst der Akademieprofessoren und ihrer Schulen gewirkt. Die Herstellung von Bildern ist zu einer blühenden Industrie geworden. Und Handel mit Bildern der beliebteste Handelszweig. Friseure, Tabakhändler, Zahnärzte, Tuchhändler betreiben nebenbei den Handel mit Bildern […]. Ein ganz anderer Künstler ist Gert Heinrich Wollheim […]. Er ist der Mystiker des Ver­stands, der große Gaukler […]. Dinge des Unterbewußtseins, des Traums und der Dynamik des Animalischen, des Worts und Begriffs malt er hin. Seine Kunst ist metaphysische Spekulation, für den Augenblick auf die Ebene der Realität kondensiert.“

 

 

Gerth Schreiner am 8. Mai 1923 in der sozialdemokratischen „Volkszeitung“

Wollheim erfährt zunehmende künstlerische Anerkennung und siedelt im September 1925 nach Berlin über, wo er Mitglied der Novembergruppe wird. Zu seinem neuen Berliner Umfeld zählen Georg Grosz und Otto Dix, doch auch die Kontakte nach Düsseldorf pflegt er weiter. Er porträtiert mehrfach die russische Tänzerin Tatjana Barbakoff, die er bereits in Düsseldorf kennen gelernt hat und die später seine Lebensgefährtin wird. Die Vielfalt und Breite seines künstlerischen Schaffens in verschiedenen Genres, wie Porträt, Stillleben oder mythologische Arbeiten, wird bewundert und kritisiert. Auf der 27. Internationalen Ausstellung des Carnegie Institutes in Pittsburgh ist Wollheim 1927 mit drei Bildern vertreten. Auch sonst ist er ein gefragter Künstler, hat Kontakt mit vielen Künstler:innen seiner Zeit (Alfred Döblin, Leonhard Frank, Else Lasker-Schüler u.a.m.) und ist an zahlreichen Ausstellungen – vor allem in Berlin und Düsseldorf – beteiligt.

Bereits kurz nach Hitlers Machtergreifung kommt es 1933 zu einer ersten Verhaftungswelle von Regime-Gegner:innen, unter denen Wollheim eine prominente Stellung einnimmt. Er wird von Ausstellungen ausgeschlossen und der „Reichsverband bildender Künstler“ schließt seine Mitgliedschaft im Vorstand aus.

Wenig später gelingt ihm die Flucht, und er lässt sich mit seiner Lebensgefährtin Tatjana Barbakoff in Paris nieder. Leni Stein sendet ihm dreizehn seiner Berliner Bilder. Trotz Exil leben, arbeiten und vernetzen sich die Künstler:innen in Paris. Wollheim kann wiederholt ausstellen und beteiligt sich am Kollektiv Deutscher Künstler, dem Max Ernst, Otto Freundlich und Horst Strempel angehören. In Deutschland wird Wollheim 1937 – auch wegen seiner jüdischen Herkunft – als „Entarteter Künstler“ eingeordnet und in der Aktion „Entartete Kunst“ werden etwa zwanzig seiner Werke aus der Nationalgalerie, den Kunstsammlungen der Stadt Düsseldorf, dem Wallraf-Richartz-Museum Köln sowie dem Kaiser-Wilhelm-Museum Krefeld beschlagnahmt und teilweise zerstört. Wollheim gehört 1937 zu den Mitbegründern des „Deutschen Künstlerbundes“, der ab 1938 als „Freier Künstlerbund“ („Union des artistes libres“) firmiert. Die letzte größere Initiative des Freien Künstlerbundes ist die Vorbereitung einer Ausstellung „Deutschland von gestern – Deutschland von morgen“ für die Weltausstellung 1939 in New York. Der Zweite Weltkrieg macht alle weiteren Aktivitäten zunichte und die deutschen Emigrant:innen werden in verschiedenen Lagern interniert. Auch Wollheim ereilt dieses Schicksal. Auf Einspruch des französischen Vertreters des Carnegie Institutes wird er entlassen und später wieder interniert. Nach dem Überfall Frankreichs verschlechtern sich die Verhältnisse der Insassen deutlich. 1942 gelingt Wollheim die Flucht und er trifft Tatjana Barbakoff wieder. Diese reist nach Nizza, wird verhaftet, nach Auschwitz deportiert und ermordet. Wollheim kann sich bis zum Ende des Krieges auf einem Bauernhof in den Pyrenäen verstecken und lernt nach dem Ende des Krieges seine spätere Frau, die Schrifstellerin Mona Eisemann kennen, die sich ebenfalls versteckt gehalten hat. 1946 kehren sie gemeinsam nach Paris zurück. Dort erfährt Wollheim, dass viele seiner zurückgelassenen Werke entweder zerstört, gestohlen oder verkauft worden sind.

 

Gert H. Wollheim: Der Überfleißige | 1947
Gert H. Wollheim: Der Überfleißige | 1947
Gert H. Wollheim: Posthistorische Landschaft | 1959
Gert H. Wollheim: Posthistorische Landschaft | 1959
Gert H. Wollheim: Der Mäzen | 1964 | Privatsammlung
Gert H. Wollheim: Der Mäzen | 1964 | Privatsammlung

Man könnte jetzt von den Irrfahrten eines Malers erzählen, der, 1933 nach Paris geflohen, bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in ein Internierungslager gesteckt wurde und für fünf Zigaretten pro Stück die Porträts seiner Mitgefangenen zeichnete. Es fügte sich, dass auch ich mich in demselben Lager befand und von ihm, auf dem Stroh liegend, porträtiert wurde, während über den Baracken die deutschen Bombenflugzeuge kreisten und draußen, hinter dem Stacheldraht, die französische Armee in endlosen Kolonnen nach Süden floh.

Ich könnte von unserer Flucht aus dem Lager bis nach Marseille erzählen und von den fünf Jahren, in denen Wollheim sich am Fuße der Pyrenäen verborgen hielt, während man ihn in Paris bereits für tot hielt und seine Bilder von geschäftstüchtigen Händlern zusammengesucht und auf den Markt geworfen wurden. Es war um dieselbe Zeit, dass Wollheims Lebensgefährtin, die unvergessliche Tänzerin Tatjana Barbakoff, aus einem anderen französischen Lager verschleppt und in Auschwitz vergast wurde.“

 

Hans Sahl, 1993

Mit Hilfe des „International Rescue Committee“ gelingt ihm 1947 die Ausreise nach New York. Als Bürge figuriert der Schriftsteller Leonhard Frank. Mona Eisemann folgt wenig später und die beiden heiraten in New York.

Wollheim behält auch in seinem Spätwerk seine eigene, dem Surrealismus nahestehende Formensprache bei und entwickelt diese weiter. Er arbeitet mit selbst hergestellten Farben und malt große Vielfigurenbilder sowie symbolisch-allegorische Darstellungen. 1949 beteiligt er sich erneut an einer Ausstellung des „Carnagie Institutes“ in Pittsburgh und kann ein Jahr später seine Arbeiten in verschiedenen Einzelausstellungen zeigen. 1961 findet eine Retrospektive seiner Arbeiten im Kunstpalast Düsseldorf statt. Seine Heimat bleibt New York, wo er am 22. April 1974 verstirbt.

„Aber wie man auch zu diesem oder jenem Bild Wollheims stehen mag – als Ganzes betrachtet, bezeugen sie eine Vitalität, die auch durch die Ereignisse der letzten Jahrzehnte nicht gebrochen werden konnte. Und dies ist vielleicht am bemerkenswertesten, dass hier, mitten im Lärm und Getöse der modernen Metropole New York, in einem Studio, das viel zu klein war, um die im Stil eines Tintoretto gehaltenen Wandgemälde zu fassen, ein Künstler vor seiner Staffelei saß und auf einem Malgrund, den er selbst präpariert, und mit Farben, die er selbst hergestellt hatte, die großen Figuren der Sage und Weltliteratur malte – ein hagerer, rothaariger, etwas rheumatischer Don Quichote der Kunst, ein Besessener der Malerei, der, auf der Suche nach einer neuen Form, sich in die Vergangenheit verbissen hatte wie ein Jagdhund in seine Beute.“

 

Hans Sahl, 1993

Die Kunstsammlung Jena ehrt das Werk dieses bedeutenden und in vielerlei Hinsicht außergewöhnlichen Künstlers seit mehr als zwei Jahrzehnten erstmals wieder in einem öffentlichen Museum. Alle der mehr als zweihundert ausgestellten Werke sind Leihgaben aus privaten Sammlungen und werden teilweise erstmals in Deutschland ausgestellt.

Für die Förderung der Ausstellung danken wir nicht nur allen Leihgebern, sondern auch dem Freistaat Thüringen.

Ausstellung: 7. Dezember 2024 bis 16. März 2025 | Vernissage:  6. Dezember 2024, 19 Uhr
Kunstsammlung Jena | Markt 7 | Di-So 10-17 Uhr

Kannten Sie den Künstler Gert Heinrich Wollheim, liebe Leser:innen, oder geht es Ihnen wie so vielen anderen, bei denen er in Vergessenheit geraten ist? Dann haben Sie bald die Chance, in sein Werk einzutauchen.
Wenn Ihnen zu diesem bewegten Leben eine Frage unter den Nägeln brennt, schreiben Sie uns in den Kommentaren!

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